Kunstblut (German Edition)
ihr bekommen hatte.
Ich wusste eine Menge – aber ich wusste auch, dass ich gar nichts wusste. Ich starrte auf die graue, endlos wirkende Zuckerrübensteppe. Wir hatten einiges an Fußmarsch vor uns.
* * *
Frau Wolters Schuhwerk war unpassend. Nach einer Viertelstunde brach ihr ein Absatz ab. Immerhin waren wir mittlerweile in Sicht eines Bauernhofes, von dem wir allerdings durch einen überaus schlammigen Acker getrennt waren. Der Weg stieß auf eine kleine Straße. Ich bog nach links ab. Die Sonne hing grau verschleiert in halber Höhe. Immer noch hatte ich keine Ahnung, wie spät es war.
Auf der Straße fuhr kein einziges Fahrzeug. Ich fand es erstaunlich, nur fünfzehn Autominuten von Düsseldorf entfernt einen so unbelebten Ort zu finden. Erst als wir uns einer Bundesstraße näherten, kam uns ein Wagen entgegen. Auf mein Winken hielt der Fahrer sogar an und bestätigte meine These, nach der wir westlich von Dormagen waren. Der Anblick von Frau Wolters verschwollenem Gesicht beunruhigte ihn sichtlich, also erzählte ich ihm eine Geschichte von einem Fahrradunfall. Dies, im Verbund mit zwei Zwanzigern, überzeugte ihn, uns nach Düsseldorf zu bringen. Er hatte sogar eine Zigarette für Frau Wolter. Sie saß auf der Rückbank und rauchte mit geschlossenen Augen. Aus dem Radio dudelte leise irgendwelche Top-40-Musik.
»Beim Spiel zwischen Hoffenheim und Leverkusen ist in der fünfunddreißigsten Minute das 1:0 gefallen«, sagte der Sprecher, als das Stück zu Ende war.
»Wieso ist denn am Freitagnachmittag Bundesliga?«, fragte ich den Fahrer.
»Wir haben Samstag«, sagte er. Er warf mir einen unbehaglichen Blick zu.
Ich betastete meine Beule. Arnie hatte mich also nicht vier Stunden außer Gefecht gesetzt, sondern vier plus vierundzwanzig. Kein Wunder, dass ich gekotzt hatte.
Die Musik spielte weiter, bis sie nach einer halben Minute ausgeblendet wurde und der Sprecher sich wieder meldete.
»Und jetzt eine Sondermeldung exklusiv für Sie, liebe Hörer von Antenne Düsseldorf. Wie wir gerade erfahren, ist Lothar van Wygan, weltbekannter Maler und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, in Köln Opfer einer Entführung geworden. Am Telefon meldet sich nun unser Korrespondent Friedel Hausmann, der Augenzeuge des Vorfalles wurde: Friedel, was kannst du uns berichten?«
»Können Sie das lauter drehen?«, fragte ich den Fahrer.
Friedels Stimme war verzerrt durch die Übertragung: »Vor wenigen Minuten, am helllichten Tage, auf einer Hauptverkehrsstraße am Rande der Kölner Innenstadt, wurde der Wagen des berühmten Düsseldorfer Kunstprofessors von einer schwarzen Limousine gestoppt. Ein zweiter Wagen blockierte van Wygans Mercedes von hinten. Zwei maskierte Männer sprangen heraus und zerrten den heftig Widerstand leistenden Lothar van Wygan aus seinem Auto. Mit vorgehaltenen Waffen zwangen sie ihn, in die Limousine einzusteigen, die daraufhin sofort mit hoher Geschwindigkeit davonraste. Die Verfolgung durch Augenzeugen scheiterte. Eben trifft die Polizei am Ort des Geschehens ein …« – »Gibt es Hinweise auf den Hintergrund dieser Entführung?«, fragte der Sprecher. – »Natürlich ist es noch zu früh für Spekulationen, aber unbestätigten Gerüchten zufolge soll van Wygan in die zwei mysteriösen Mordfälle von Anfang der Woche in Düsseldorf verwickelt sein, aber ich muss hier betonen, dass es sich dabei nur um Gerüchte handelt. Möglicherweise liegen die Motive der Täter hier.« – »Vielen Dank, Friedel, du bleibst für uns am Ball. So viel bis hierher aus Köln. Unser Korrespondent Friedel Hausmann berichtet exklusiv für Sie auf Antenne Düsseldorf. Wir halten Sie auf dem Laufenden über die spektakuläre Entführung von Professor Lothar van Wygan …«
Robbie Williams begann zu singen. Der Fahrer drehte wieder leiser. »Künstler«, sagte er nur.
Ursula Wolter beugte sich nach vorn. »Waren das die Japaner?«, fragte sie.
Ich nickte. Der Fahrer sah uns misstrauisch an. Er wirkte erleichtert, als er uns vor meinem Haus aussteigen ließ.
* * *
Ich brachte Frau Wolter hinunter zur Haustür und half ihr ins Taxi. Sie drehte sich nicht um, als sie davonfuhr. »Ich weiß es nicht«, hatte sie auf meine Frage geantwortet, was sie nun vorhabe.
Ich fuhr mit dem Aufzug wieder hoch und zog die Tür hinter mir zu. Müde stieg ich die Treppe ins Büro hinauf, holte ein neues Magazin aus dem Safe und lud die Kimber wieder. Dann ging ich hinunter zu meiner Harfe und ließ mich auf
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt