Kunstblut (German Edition)
langweilig, und das begann mir auf die Nerven zu gehen, also vertrieb ich mir die Zeit mit Gymnastik und Kraftübungen, während sich meine Gedanken pausenlos um das unvollständige Mosaik drehten, als dessen Teil ich hier eingesperrt war.
Es mochte eine Stunde oder mehr sein, die verging, bis wieder Geräusche durch die Tür drangen. Schritte von mehreren Personen, laute japanische Stimmen und dazwischen, deutlich vernehmbar, das Weinen einer Frau. Es wurde leiser, eine Tür klappte, es war verschwunden. Das Getrappel und Stimmengewirr vor meiner Tür jedoch hielt an. Von etwas weiter entfernt wurde ein japanisches Kommando gebrüllt, worauf die Schritte sich hektisch eine Treppe hinauf entfernten.
Für eine Weile kehrte die Stille in meinen Raum zurück. Ich lauschte angespannt und legte das Ohr an die Tür. Leise, aber doch deutlich meinte ich ein Wimmern zu vernehmen. Meine Hilflosigkeit regte mich mehr und mehr auf. Ich rüttelte an der Klinke und trat gegen die Tür. Es tat weh und nutzte überhaupt nichts. Ich zwang mich zur Ruhe und zum Warten. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Frau ohne Unterlass weinen hören. Mein Zeitgefühl war völlig verloren gegangen, es schien erneut eine Ewigkeit vergangen zu sein, als Schritte die Treppe herunterkamen. Eine Tür wurde geöffnet, die Frau wurde weggebracht, ohne dass ihr Weinen nachgelassen hätte. Nach einiger Zeit kamen die Schritte zurück. Die Tür wurde aufgeschlossen, und der kaschmirtragende Zimmerkellner kam herein – unbewaffnet, was mich veranlasste eine sprungbereite Position einzunehmen.
Er sah mich mit undurchdringlichem Blick an und sagte: »Besser nicht tun, ich Kara-te.«
Dann verbeugte er sich tief und sagte einen langen Spruch auf Japanisch auf, aus dem ich die Worte »Tokohiro San« heraushörte. Er richtete sich wieder auf, verbeugte sich erneut und sagte:
»Tokohiro San sich entschuldigen für einsperren Sie. Er leider keine Zeit für herkommen. Ich Sie bringen weg. Frei lassen.«
Er wies auf die offene Tür. Wir hielten uns gegenseitig im Auge, während ich Jackett und Mantel anzog. Dann ging ich vor ihm her in den hell erleuchteten, leeren Gang. Gegenüber war eine Stahltür, ähnlich der zu meinem Verlies. Sie war angelehnt.
Der Japaner schubste mich sanft weiter in Richtung Treppe, und ich stieg hinauf. Die Diele, in die ich kam, schien die eines weitläufigen, wenn auch nicht übertrieben großen Bungalows. Kein Mensch war zu sehen. Durch eine offene Tür sah ich in einen großen Wohnraum. Licht fiel durch eine Verandatür, aber der Garten dahinter war von einer hohen, weißen Mauer umgeben. Vorn, wo ich die Straßenfront vermutete, waren alle Rollläden heruntergelassen. Mein Bewacher dirigierte mich durch eine kleine, unvollständig eingerichtete Küche zu einer weiteren Tür.
»Machen auf«, sagte er.
Sie führte in eine große Garage, in der ein Mitsubishi-Transporter stand. Der Japaner öffnete die Schiebetür. Auf dem Boden der fensterlosen Metallkiste saß Ursula Wolter in einer Ecke und kniff geblendet die Augen zusammen. Völliges Unverständnis trat in ihren Blick, als sie mich erkannte.
»Sie«, sagte sie nur. Es war nicht einmal eine Frage.
»Wir waren Zellennachbarn«, sagte ich. »Aber ich glaube, man hat uns begnadigt.«
»Wirklich?« Ihr Gesicht war von verschmiertem Make-up verunstaltet. Die rechte Seite war blaugrün angelaufen und verquollen.
»Setzen hin«, sagte der Japaner und warf die Schiebetür zu. Es wurde vollständig dunkel. Ich hörte den Mann einsteigen und das Garagentor mit einem schwachen Brummen auffahren. Der Wagen fuhr los. Ich versuchte den Türgriff, aber natürlich rührte er sich nicht.
Frau Wolter sagte leise etwas. »Sie haben Freddy …«, verstand ich.
»Wer hat Freddy? Die Japaner?«
»Ja. Sie haben ihn …«
»Was wollen sie von ihm?«
»Sie haben ihn ERSCHOSSEN !«, brüllte sie.
»Erschossen? Warum?«
»Das weiß ich nicht!« Sie atmete schwer. »Sie haben ihn an die Wand gestellt, und dann haben sie einfach geschossen.«
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte ich.
»Ja. Ich war dabei. Sie haben ihn regelrecht hingerichtet.«
Ich schwieg. Das war starker Tobak, der nicht zu meiner Einschätzung Tokohiros passen wollte. Der Wagen hielt kurz und bog dann rechts ab. Der Verkehrslärm nahm zu, wir waren auf einer Hauptstraße.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte ich.
»Ich lebe. Das muss reichen … Haben Sie eine Zigarette?«
»Nein. Erzählen Sie mir, was passiert
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