Kunstblut (German Edition)
Wygan?«
»Ja. Er hat uns den Safeschlüssel gegeben. Es war nicht schwer, ihn dazu zu bringen. Aber in seinem Haus wartete jemand auf uns. Als ich den Safe aufschloss, hat man auf uns geschossen. Ohne Warnung. Ich weiß nicht, wer oder wie viele. Vielleicht war es nur einer. Meine beiden Männer sind tot. Oder wenigstens schwer verwundet, ich weiß es nicht genau, ich konnte ihnen nicht helfen, ich musste sie zurücklassen.«
»Wo ist ihr dritter Mann?«
»Er bewacht van Wygan. In dem Haus, in dem auch Sie schon waren.«
»Und was wollen Sie von mir ?«
Er hob den Koffer ein wenig an. »Ich möchte Ihnen das hier geben. Darin ist alles, was ich zu diesem Fall weiß. Und noch ein wenig mehr.«
»Warum ich?«
»Weil Sie der Richtige sind. Das Schicksal führt Männer wie uns nicht ohne Absicht zusammen.«
»Das Schicksal?«
»Sie mögen nicht daran glauben, ich tue es. Und ich bin sicher, dass es richtig ist, Ihnen zu vertrauen.«
»Und warum, Tokohiro San, sollte ich Ihnen vertrauen?«
Er schob mir den Koffer zu. Auf dem hellen Leder war ein großer, dunkler Fleck.
»Weil ich sterbe«, sagte er.
Er hustete und verzog das Gesicht. Ich beugte mich vor, um ihn anzusehen. Er hielt seinen Trenchcoat zu, aber das Blut hatte ihn bereits durchtränkt.
»Bauchschuss«, sagte er.
»Ich bringe Sie zu einem Arzt«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Zu spät.«
»Wie können Sie das wissen?«
»Glauben Sie mir: Es hat keinen Zweck.«
Er sah mir in die Augen, und ich wusste, dass er Recht hatte.
»Es ist auch ein Brief an Cornelia in dem Koffer. Bitte geben Sie ihn ihr. Vielleicht können Sie ihn in einen anderen Umschlag tun, es ist Blut darauf gekommen. Erzählen Sie ihr eine schöne Geschichte, bitte. Nicht die Wahrheit.«
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte ich.
»Danke.«
Er stöhnte auf, plötzlich und heftig.
»Sagt mir dieser Koffer auch, wer Yves Schwarzenberger und Egon Wolter umgebracht hat?«
»Nein. Das tut er nicht. Aber er wird …«, er hustete würgend, »… er wird Ihnen helfen.«
»Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir noch eine Frage beantworten. Warum haben Sie Freddy Piehlmann getötet? War das wirklich nötig?«
Sein Blick verwirrte sich. »Piehlmann? Wir haben ihm nichts getan. Sie … hat ihn … Ich konnte … es nicht verhindern.«
»Sie? Wen meinen Sie?«
Er schloss die Augen und sagte etwas auf Japanisch. Sein Atem ging keuchend. »Das Haus …«, stieß er schließlich hervor, »van Wygan, es steht alles da drin. Lesen Sie es, und …« Er schloss die Augen, sein Atem ging schnell und flach.
»Und?«
»Und bringen Sie es zu Ende«, sagte er.
SECHS
Die Straße lag in einer stillen Einfamilienhaussiedlung, kurz hinter der Stadtgrenze zu Neuss. Aus dem Haus drang kein Lichtstrahl. Ich zog meine Handschuhe an. Der Koffer lag neben mir auf dem Beifahrersitz. Fast eineinhalb Stunden hatte ich mich mit seinem Inhalt befasst, Akten zumeist. Aber es lag auch ein Bündel Hunderter darin, außerdem, in einem durchsichtigen Kunststoffbeutel, eine SIG -Sauer Parabellum. Es war Ferrari-Freddys Waffe, wie ich einem Aufkleber entnahm. Daneben lagen ein Schlüsselbund und eine Glock 26. Ich nahm beides heraus und steckte die Waffe in die Manteltasche, bevor ich ausstieg. Es war halb fünf. Die Straße war menschenleer. Eine Katze überquerte die Fahrbahn, grau im Licht der Laternen.
Ich ging durch den Vorgarten zur Haustür, probierte die Schlüssel durch und öffnete so leise wie möglich. Es war still. Durch den Spalt unter der Kellertür drang Licht. Im Schein der Maglite durchquerte ich die Diele. Ich zog meine Kimber. Die Wunde am Arm schmerzte, als ich mit der Linken auf die Klinke drückte. Die Tür war unverschlossen. Als ich sie aufzog, hörte ich von unten ein gurgelndes Geräusch, das sich rhythmisch wiederholte. Jemand schnarchte. Die Kimber in der Rechten, schlich ich die Treppe hinunter und lugte in den Gang. Auf einem Gartenstuhl, den Kopf mit einem dünnen Kissen gegen die Wand gelehnt, saß Arnie Koppmann.
Tokohiro hatte also auch über ihn gelogen.
Auf Arnies Schoß lag eine Heckler & Koch MP , seine Rechte lag locker darauf, der linke Arm war immer noch bandagiert. Ich trat leise zu ihm und zog ihm die Waffe weg. Mit einem schnappenden Atemholen wachte er auf und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Mündung meiner 1911er.
»Wa?« war ungefähr alles, was er sagte.
»Du wirst es mir bestimmt nicht glauben, Arnie«, sagte ich lächelnd,
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