Kunstblut (German Edition)
saß auf der Liege. Säuberlich gefaltet auf dem Stuhl lagen Mantel, Jackett und Weste. Unter den Armen zeigte sein weißes Hemd Schweißflecke. Seine Glatze war von unregelmäßigen hellen Stoppeln überzogen. In der Hand hielt er ein blau glänzendes Tuch. Äußerlich schien er unversehrt, aber die Arroganz in seinem Blick hatte gelitten, es war nun eher eine Mischung aus Furcht und trotzigem Stolz.
»Ah, der Herr Detektiv. Kommt er, mich zu befreien, oder zählt er auch zu den Schurken?«
»›Schurke‹ ist ein relativer Begriff, Herr Professor. Immerhin kann ich Ihnen mitteilen, dass Ihre Entführer tot oder gefangen sind.«
»Tot? Wie dramatisch! Wo ist denn die Polizei?«
»Haben Sie es wirklich so eilig, den Herren entgegenzutreten? Können Sie denen alle Fragen beantworten?«
»Welche Fragen sollte man mir stellen? Ich bin Opfer einer brutalen Entführung geworden. Fragen haben da wohl andere zu beantworten. Können wir gehen?« Er erhob sich und nahm seine Garderobe vom Stuhl. »Sie dürfen Ihre Waffe übrigens wieder einstecken. Ich tue Ihnen nichts.«
»Es geht durchaus nicht darum, ob Sie mir etwas tun wollen, Herr Professor.«
Er sah mich an, unbewegt, aber seine Augen flackerten. Er ließ seine Sachen wieder auf den Stuhl fallen. »Was für eine Rolle spielen Sie hier eigentlich, Herr … wie war gleich Ihr Name?«
»Vor ein paar Tagen wussten Sie ihn noch, Herr Professor. Haben Sie Ihren Entführer erkannt?«
Seine Oberlippe hob sich angewidert. »Warum sollte ich?«
»Sie haben ihn einmal künstlerisch beraten. Als seine Firma die Köttinger-Werke übernommen hat.«
Langsam kehrte der alte Hochmut in seinen Blick zurück. »Weiter«, sagte er.
»Ihre Beratung hatte man in Anspruch genommen, weil es bei dem Geschäft nur am Rande um eine Werkzeugfabrik ging. In erster Linie interessierte sich der Käufer für Köttingers Kunstsammlung.«
»Interessierte sich!« , spuckte er aus. »Genau. Man interessierte sich. Menschen, die sich für Kunst interessieren, widern mich an. Interesse für Kunst beinhaltet völliges Unverständnis. Ich kann jemanden ernst nehmen, der Kunst hasst , aber niemanden, der sich für Kunst interessiert ! Diese Wesen fühlen nichts.«
»Ich denke, Sie haben den Mann unterschätzt. Er wollte Köttingers Sammlung wirklich. Und genau wie Köttinger wollte er die Werke nicht öffentlich zeigen. Er wollte sie für sich behalten. Ich finde es erstaunlich, aber es gibt solche Menschen tatsächlich. Es reicht ihnen, Kunst in ihrem Besitz zu wissen.«
»Ja! Das ist etwas, das jemand wie Sie niemals wird nachvollziehen können!«
»Nun, immerhin kann ich nachvollziehen, dass Köttinger nur seine Klimts aus der Chefetage zeigte.«
Van Wygans Blick schien einen weit entfernten Punkt zu fixieren. Eine Art Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Sechsundsiebzig Werke«, sagte er leise. »Eines größer als das andere. Nur allerhöchste Qualität. Caspar David Friedrich, Rembrandt, Turner, Pollock, Richter, er hatte sogar einen van Wygan !« Zum ersten Mal hörte ich ihn lachen. Es klang widerlich. »Und alle: GESTOHLEN!«, johlte er. »Eigentlich völlig unverkäuflich, weil auf der ganzen Welt als gestohlen bekannt. Dieser Mann liebte Kunst wirklich!«
»Aber er hat sie doch verkauft«, sagte ich.
»Ja. Köttinger hatte Probleme, die er für groß hielt. Sein Gejammer war widerwärtig.« Fast hätte er ausgespuckt.
»Ja«, sagte ich. »Köttinger brauchte Geld, sofort. Also weihte er einen befreundeten Düsseldorfer Kunstmakler ein: Yves Schwarzenberger. Er bat ihn, sich diskret nach einem Käufer umzusehen. Er fand einen in Düsseldorf ansässigen japanischen Unternehmer, der Köttingers Leidenschaft teilte. Er war sogar bereit und in der Lage, das Geschäft durch eine Firmenübernahme zu verschleiern. Alles hätte wunderbar gepasst, wenn dieser Japaner sich nicht von einem ebenso kompetenten wie skrupellosen Mann hätte beraten lassen: von Ihnen.«
Van Wygan richtete sich auf. »Es war eine gute Idee von Ihnen, die Waffe nicht wegzustecken, Herr Detektiv.« Er machte einen Schritt auf mich zu.
Ich hob die Pistole und zielte zwischen seine Augen.
»Sie würden nicht wagen zu schießen«, sagte er.
»Wollen Sie sich darauf verlassen?«
Er blieb stehen.
»Setzen Sie sich«, sagte ich. Er ließ sich langsam wieder auf die Liege sinken. Dann wischte er sich mit dem blauen Tuch den Schweiß von der Glatze, die Stoppeln erzeugten ein leise kratzendes Geräusch. »Ich werde
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