Kupferglanz
… Vielleicht hat sie damit jemanden geschlagen, bevor sie gestorben ist. Kann sein, dass sie gefallen ist, kann aber auch sein, dass jemand nachgeholfen hat. Wir nehmen sie mit nach Joensuu und sehen sie uns genauer an. An deiner Stelle würde ich mal davon ausgehen, dass sie runtergestoßen wurde … Kann aber auch anders gewesen sein.»
Ich hatte keine Lust, auf den Turm zu klettern, sondern gab per Telefon Anweisung, wonach sie dort oben suchen sollten. Kampfspuren. Abgebrochene Fingernägel. Die Neugier in Järvis Stimme war kaum zu überhören. Im Restaurant sprach Kivinen aufgeregt ins Telefon. Er schien sich gefangen zu haben, dem Geruch nach hatte er dazu einen Whisky gebraucht. «Sie können Meritta Flöjt jetzt sehen», sagte ich, als er aufgelegt hatte.
«Ich glaube, das möchte ich doch nicht. Hätte die Ortspolizeidirektorin vielleicht eine Zigarette für mich? »
«Ich rauche nicht.»
«Ich auch nicht mehr… eigentlich.» Kivinen angelte noch ein Nikotinkaugummi aus der Tasche. «Hier ist die Gästeliste. Ich selbst bin gegen eins gegangen, da waren nicht mehr viele Leute da. Ich versuche mich zu erinnern, wer noch geblieben ist. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass Meritta um die Zeit noch auf der Party war. Meine Sekretärin sagt, sie war bis halb drei hier, bis die Letzten gegangen waren. Im Turm hat sie allerdings nicht nachgesehen. Meritta kann ja dort gewesen sein.»
«Und die Nachtwächter? Sollten die nicht einmal in der Stunde vorbeikommen?»
«Ich habe versucht, die Firma anzurufen, aber da nimmt keiner ab.»
Kivinen hatte mir gestern erzählt, dass das Alte Bergwerk nachts von einer Wach-und Schließgesellschaft kontrolliert wurde, die ein paar junge Burschen gegründet hatten. Sie hatten den Auftrag, jede Nacht mehrere Rundgänge zu machen.
«Wie gut kannten Sie Meritta Flöjt?» Die steinernen Wände des leeren Restaurants gaben meiner Stimme ein kaltes Echo.
«Hat der Stadtrat nicht offiziell beschlossen, dass man sich in dieser Stadt duzt?
Ich bin Seppo.» Kivinen streckte mir die Hand hin, ich packte sie verblüfft und murmelte meinen Vornamen. Die Duzregel war in Kraft getreten, als ich noch zur Schule ging. Ich erinnerte mich an die vehemente Kritik unseres alten Kunstlehrers, der gesagt hatte, man brauchte wahrhaftig nicht jeden Blödsinn nachzuäffen, den sich die Schweden einfallen ließen.
«Natürlich kannte ich sie … Sie war doch in der Kommission, die die Pläne für das Alte Bergwerk entwickelt hat, dein Onkel Pena war auch dabei. Und … na ja, warum soll ich es verheimlichen, irgendwer würde es dir sowieso erzählen.
Letzten Winter haben wir ein paar Nächte miteinander verbracht. Es war nichts Ernstes. Ich bin verheiratet und will es auch bleiben.» Die Sache schien Kivinen nicht im Geringsten peinlich zu sein. Was war schon dabei, die Leute gingen eben ohne Gewissensbisse fremd. Warum hatte ich mich von einem einzigen freundschaftlichen Kuss aus der Fassung bringen lassen?
«Das Verhältnis war also schon zu Ende?»
«Ja. Im Frühjahr hatte sie wohl schon einen anderen. Und bei uns war es ja nicht die große Liebe, also gab es auch keine Bitterkeit. Du hast doch gestern selbst gesehen, wie gut wir uns verstanden haben.»
«Doch, doch.» Ich wollte nicht an den nächsten Mann in Merittas Leben denken.
Wir gingen die Gästeliste durch und einigten uns verhältnismäßig problemlos darauf, dass der Turm geschlossen blieb und auch das Restaurant erst am Abend geöffnet wurde. Das Bergwerksgelände unterhalb des Hügels gab ich frei. Ich wollte Kivinen möglichst wenig Schwierigkeiten bereiten.
Als ich wieder nach draußen kam, war Merittas Leiche schon abtransportiert worden. Lasarov und Hopponen waren von ihrem Besuch bei Merittas Mutter zurück. Die Polizisten aus Arpikylä palaverten aufgeregt mit den Männern vom Dezernat. Der Fotograf schien oben noch weitere Aufnahmen zu machen.
«Hört mal, da gabʹs einfach alles», erklärte Antikainen. «Abgebrochene Fingernägel, ein bisschen Blut… » Fröhlich schwenkte er einen kleinen Plastikbeutel, in dem etwas Orangefarbenes aufblitzte. Der Kriminaltechniker schnappte sich das Tütchen und legte es zu den übrigen Fundstücken. «Das Stück Stoff stammt ganz sicher von Flöjts Rock. Und der Schmuck gehört ihr wohl auch.»
Ich starrte entsetzt auf die schwere Kalevala-Brosche, die in einem zweiten Beutel lag. So eine Brosche hatte ich gestern gesehen. Aber nicht bei Meritta, sondern bei
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