Kupferglanz
Kaisa deshalb in Arpikylä und nicht in Portugal, um in Johnnys Nähe zu sein?
«Kaisa hat ja Sportpsychologie studiert, vielleicht kommt ihr das jetzt bei Aniliina zugute», meinte Mutter und schickte uns ins Bett. Saku würde uns schon früh am Morgen wecken. Eeva und ich schlichen ins Schlafzimmer, wo Saku, einen Teddy im Arm und die Decke zusammengeknüllt unter dem Bauch, friedlich schlummerte. Das leise Reden meiner Eltern und das Geschirrklappern klangen seltsam vertraut, Erinnerungen wurden wach. Ich fand keinen Zugang zu meinen Eltern und wusste nicht einmal, ob ich sie überhaupt anders kennen wollte als bisher, als die Menschen, die die ersten neunzehn Jahre meines Lebens über mich bestimmt hatten. Was hatte ich davon, sie mit meinem Kindheitstrauma zu belasten, die Vergangenheit war sowieso nicht mehr zu ändern. Ich hatte mir eingebildet, wenn ich meine Eltern besser kennen würde, würde ich auch mich selbst, meine Bedürfnisse und Wünsche, besser kennenlernen. Jetzt war ich nicht mehr sicher, ob ich es überhaupt wagte, in mein Ich einzutauchen.
Sechs
Am Morgen wurde ich davon wach, dass ein kleines, nach Milch riechendes Wesen auf mir herumkrabbelte und ta-te‐te und aute-aute‐aute kreischte. Dann riss es energisch an meinen Haaren. Ich öffnete die Augen und sah direkt in Sakus strahlendes, sabberiges Gesicht.
Ich ging schwimmen und frühstückte ungefähr dreimal so viel wie sonst, bevor ich mich ins Zentrum aufmachte. Ich hatte mir vorgenommen, auf dem Weg zur Arbeit bei Virtanens vorbeizugehen. Ich musste Ella selbst nach dem Schmuck fragen. Hoffentlich war Koivu aus Joensuu zurückgekommen, um die Befragung der Gäste fortzusetzen, dann könnte ich das Ganze mit ihm durchhecheln.
Die Virtanens wohnten in einem etwas heruntergekommenen Eigenheim aus Holz, fast am Rand des Einsturzgebiets. Das Haus war ursprünglich für die Bergwerksarbeiter gebaut worden und für zwei Familien gedacht. Math hatte sich in der einen Haushälfte ein Atelier eingerichtet, indem er einen Teil der Zwischenwände entfernt hatte. Im hohen Gras auf dem Hof befand sich eine permanente Kunstausstellung, Stahlskulpturen, die Matti vor ein paar Jahren geschaffen hatte, weil er den Drang verspürte, die Standardmotive seiner Gemälde, Dreiecke und Würfel, zu materialisieren. Meistens malte er eine Art dreidimensionale Stillleben aus seinen geometrischen Figuren; seine Bilder waren unverkennbar. Zum dreißigsten Geburtstag hatte er mir eine seiner Studien geschenkt.
Ich klopfte an die Tür und ging hinein, ohne auf Antwort zu warten. Die Kinder der Virtanens, Ville und Viivi, saßen im Wohnzimmer und guckten ein Muminvideo. Ella fuhrwerkte in der Küche, Matti war nirgends zu sehen.
« Morgen! Magst du einen Tee ? » Ella war ganz offensichtlich gerade erst aufgestanden, die Haare standen wirr vom Kopf ab, und ihr Nachthemd war zerknittert.
«Gern. Schläft Matti noch?»
«Nein, der ist sicher schon seit acht im Atelier. Ich weiß nicht, ob er überhaupt geschlafen hat, diese Sache mit Meritta … » Ella machte die Küchentür zu. «Seit er es gehört hat, weint er an einem Stück.»
«Waren sie denn so gut befreundet?»
« Sie kannten sich schon seit mindestens fünfzehn Jahren, sie haben gleichzeitig an der Kunstakademie studiert.» Ella goss mir Tee ein. Ich tat reichlich Milch dazu, denn ich erinnerte mich, dass Ella fürchterlich starken Tee braute.
Ich vergaß immer wieder, dass Matti gut zehn Jahre älter war als Ella und ich, er wirkte irgendwie so jungenhaft. Ella und Matti hatten sich an der Volkshochschule kennengelernt, wo Ella ihre Ausbildung zur Kulturdezernentin machte und Matti einen Malkurs leitete. Ella, die sich bis dahin nicht so leicht den Kopf verdrehen ließ, war schon nach ein paar Wochen so weit, dass sie ihn heiraten wollte.
Matti war ein netter Mann, vielleicht ein bisschen zerstreut und schludrig, obwohl ich oft das Gefühl hatte, dass seine Schludrigkeit nur zu der Künstlerrolle gehörte, die er allen vorspielte. Er war so redselig, dass es selbst mir manchmal schwerfiel, zu Wort zu kommen. Normalerweise hatte er eine überschäumende Energie: Obwohl er ein allgemein anerkannter Künstler war, arbeitete er aktiv im Künstlerverein mit und gab mit Begeisterung Unterricht. Die Kinder in der Kunstschule und die Erwachsenen im Malkreis der Volkshochschule von Arpikylä konnten sich glücklich schätzen, einen so qualifizierten Lehrer zu haben. Math genoss es, zu unterrichten und
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