Kurbjuweit, Dirk
vom Bundeskriminalamt» sagte sie. «Das ist ein Spinner.»
Sie
fischte nach dem Handy, nahm das Gespräch an. «Sie haben die SMS an die Nummer
0174 789 0021 geschickt», sagte der Mann. «Nein. 22, hinten ist eine 2.» Für
einen Moment war es still. «Wessen Nummer ist das?»
«Die
Nummer einer Freundin.»
«Kann es
sein, dass Sie sich vertippt haben?»
«Kann
sein.»
Der Mann
vom Bundeskriminalamt sprach leise mit einem anderen Mann. Dann sagte er: «In
Ordnung, entschuldigen Sie die Störung.»
«Und sagen
Sie mir auch noch, was das sollte?»
«Ein
Fernfahrer, der auch Gefahrengüter transportiert, hat Ihre Botschaft bekommen.
Er dachte, es sei eine Todesdrohung, weil er Marrakesch für ein Zentrum des
Terrorismus hielt.»
Sie
verabschiedeten sich. Thilo entwickelte sofort einen Filmstoff, bei dem ein
harmloser Fernfahrer aus Bremen irrtümlicherweise genau jene Botschaft erhält.
Er gerät in Panik, hasst nun die, die ihn vermeintlich hassen, und rast mit
seinem Laster, der mit hochexplosiven Chemikalien beladen ist, in eine Moschee.
«Ein Selbstmordattentäter einmal anders herum, verstehst du?»
«Hab's
kapiert.»
Sie
liebten sich den ganzen Morgen, dann hatte Thilo ein Mittagessen mit dem Mann
von Warner Brothers, der auch zum Filmfest nach Marrakesch gekommen war. Esther
ließ sich zum Souk fahren. Die Leute vom Hotel hatten ihr empfohlen, einen der
Führer zu nehmen, die am Eingang zum Souk herumlungerten, weil sie dann Ruhe
habe vor den anderen. Aber sie nahm keinen, sie wollte das alleine schaffen.
Ein junger Mann blieb an ihrer Seite und ließ sich nicht abschütteln. Sie
sagte ihm, dass sie ihn nicht bezahlen würde, doch er fing einfach an, ihr die
Architektur zu erklären, und versuchte, sie in Gespräche über alles Mögliche zu
verwickeln. Er sah gut aus. Nebeneinander gingen sie durch die engen Gassen,
immer tiefer in den Souk hinein. Sie schaute sich die Läden an, die Gewürze in
offenen Säcken, die gehäuteten Tiere, die in den Metzgereien hingen, von
Fliegen umschwärmt; vor den Cafés saßen Männer, die wenig sagten, sie sah
Frauen mit Kopftüchern, manchmal eine Burka. Esther war kopflos in den Souk
hineingelaufen, nun wurden die Gassen enger und leerer. Der junge Marokkaner
vertrieb Männer, die sie ansprechen wollten, aber an einer Kreuzung beharrte er
darauf, dass sie ihm in den Laden eines Onkels folgen solle. Es gebe dort wunderbare
Antiquitäten. Sie zog weiter, blieb dann stehen, um Thilo anzurufen, aber sein
Handy war ausgeschaltet. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie wusste nicht, wo
sie war und wie er sie hätte finden können. Der Ton des Marokkaners änderte
sich, er wurde drängend, unverschämt. «German bitch.» Sie lief weiter, hoffte
inständig auf ein weißes Gesicht, einen Touristen, dem sie sich anschließen
konnte. Niemand. «Motherfucking bitch.» Der Marokkaner packte sie am Arm, sie
riss sich los, rannte fast, um eine Ecke herum, sie flehte, dahinter einen
Touristen zu sehen, aber da war niemand, auch hinter der nächsten Ecke nicht.
Der Marokkaner blieb hart hinter ihr. Wenn du jetzt stirbst, hast du nicht
gelebt, dachte sie, ein Messer, Blut, ihr Körper auf dem Boden, die Gasse
leer, verlassen, Stille. Totenstille. Vor einer kleinen Moschee stellte er
sich ihr in den Weg. Sie sah ein Messer in seiner Hand, klein, spielzeughaft.
Im nächsten Moment hörte sie eine Sprache, die sie kannte.
Der
Supermarkt in Bergen lockte die Schweden, die mit der Fähre nach Rügen kamen,
mit billigem Alkohol. Sie kauften kistenweise Bier und Schnaps, zum Glück
tranken sie es anderswo. Esther wusste, wie Schwedisch klingt, und das, was sie
hörte, war eindeutig Schwedisch, schönes, wohlklingendes Schwedisch. Eine
Gruppe älterer Touristen näherte sich der Moschee. Der Reiseführer erklärte
etwas, das Messer verschwand. Esther stellte sich zu den Schweden und tat, als
höre sie zu. Die Schweden zogen weiter, sie ging mit. Der Marokkaner
verschwand. Sie begleitete die Schweden eine halbe Stunde lang und verließ die
Gruppe erst, als sie eine belebte Gasse erreichten.
Sie
schlenderte weiter, ziellos, beruhigt. Sie dachte weniger an den Marokkaner als
an den Anruf von heute Morgen und Thilos Filmstory. Die Anschläge vom ii.
September lagen nun zweieinhalb Jahre zurück. Sie erinnerte sich, wie sie mit
Jasper im Fernsehen die Leute mit den grünen Ganzkörperanzügen gesehen hatte,
sie streiften durch amerikanische Büros, weil sie dort nach tödlichen Giften
suchten,
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