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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Abend
flogen sie über Paris zurück nach Berlin. Im Flugzeug fragte sie Thilo, ob sie
in Gretas Schicksal ihre eigene Zukunft sehen könne.
    «Warum
fragst du das?»
    «Weil du sie
mit mir betrügst und meinetwegen vielleicht verlässt. Und da frage ich mich,
ob mir in ein paar Jahren das Gleiche passieren wird. Ob ich am Abend neben
einer schönen Frau stehen werde, die ein bisschen jünger ist als ich, und wir
schnibbeln Gemüse für einen Gulasch in den großen Topf, und nach dem Gulasch
drehst du eine kleine Runde im Ruderboot mit ihr und vögelst sie auf dem
Wannsee. Zum Nachtisch seid ihr zurück.»
    «Ich habe
dich nicht auf dem Wannsee gevögelt.»
    «Warum
eigentlich nicht?»
    «Ich werde
dich auf dem Wannsee vögeln.»
    «Beantworte
meine Frage.»
    «Ich habe
Greta nie so geliebt, wie ich dich liebe.»
    «Aber wie
ist dein Naturell?»
    Sie hatte
in den letzten Wochen viel über diese Fragen nachgedacht und eine kleine
Theorie entwickelt.
    «Weißt
du», sagte sie, «wie man sich in einer Beziehung verhält, das setzt sich
zusammen aus Naturell und Liebe. Die Liebe ist der schwankende Teil, niemand
liebt über die fahre immer gleich, und wenn dann Versuchungen auftauchen,
entscheidet das Naturell darüber, ob man ihnen erliegt. Deshalb will ich
wissen, wie dein Naturell ist. Ob ich die ganz große Liebe bin, gegen die
selbst dein Naturell der unbedingten Treue und Stabilität machtlos ist. Oder
ob es dein Naturell ist, dir die Frauen, die du haben kannst, zu nehmen, wenn
du nicht gerade wahnsinnig verliebt bist in die Frau, die du sowieso hast. Wie
ist das bei dir?»
    «Wie mein
Naturell ist?»
    «Ja, wie
ist dein Naturell?»
    «Ich sage
es dir: Mein Naturell war bislang so, dass ich mir die Frauen, die ich haben
konnte, auch genommen habe. Ich will das nicht mehr. Es kotzt mich an, ich bin
von mir angekotzt. Ich will mein Naturell ändern, und mit Greta schaffe ich das
nicht. Sie hat mir nie etwas Böses getan, außer dass mir manchmal langweilig
ist mit ihr, aber deshalb muss ich ihr nicht entkommen. Ich muss mir entkommen,
und das schaffe ich nur mit einer Liebe, die wirklich groß ist.»
    «Du
brauchst mich, um dir selbst zu entkommen?»
    «Ich
brauche dich, weil ich dich liebe. Und weil ich dich so liebe, kann ich mir mit
dir entkommen.»
    «Ist es
diese Reihenfolge?»
    Sie nahm
seine Hand.
    «Es ist
diese Reihenfolge.»
    «Wann?»,
fragte sie. «Erzähl mir was von dir», sagte er. Sie schwiegen bis Paris,
stiegen um und schwiegen bis Berlin.
     
    Am
nächsten Tag ging sie zur Berufsberatung vom Arbeitsamt. Als sie auf dem Gang
wartete, sah sie ein Plakat der Bundeswehr. Eine Frau, die sympathisch
lächelte, blickte unter einem Stahlhelm hervor. Esther tippte die Nummer, die
dort angegeben war, in ihr Handy, und harrte aus, bis sie an der Reihe war. Der
Berater verstand nicht, was sie hier wollte. Als Informatikerin könne sie doch
Arbeit finden. «Aber ich will nicht», sagte sie. Lustlos suchte er nach
Möglichkeiten für eine Umschulung. Nichts sprach sie an. Ratlos fuhr sie nach
Hause. Sie fand es jetzt beschämend, dass sie eine Weile auf Thilos
Entscheidung gewartet hatte. Auch wenn er sich für sie entschied, und daran
glaubte sie immer noch, würde sie ein eigenes Leben brauchen, obwohl es
verführerisch war, sich in sein Leben fallen zu lassen. Zu Hause machte sie
sich einen Tee und saß dann in ihrer kleinen Küche auf der Anrichte und sah zum
Fenster hinaus. Die Kastanie im Hof blühte und verdunkelte mit ihrer Pracht
Esthers Wohnung. Sie hatte zwei Zimmer und kaum Möbel. Die Bilder an der Wand
waren Fotos aus ihrer Kindheit. Es war wenig hinzugekommen seither.
    Sie sah
Thilo eine Woche lang nicht. Die Kinder hätten ihn zuletzt sehr vermisst, er
müsse mehr zu Flause sein. Sie gingen essen, und als er fragte, welches Buch
sie gerade lese, sagte sie, das habe sie ihm schon gesagt.
    «Nein, das
hast du nicht.»
    «Doch»,
sagte sie, obwohl sie sich nicht sicher war.
    «Dann sag
es bitte noch einmal.» Seine Stimme klang sanft, versöhnlich. «Ich habe es dir
schon gesagt.»
    Der
Kellner brachte die Hauptspeisen, dann kam er mit einer großen Pfeffermühle und
fragte, ob sie Pfeffer haben wollten. Sie nickten beide. Die Mühle knirschte,
der Pfeffer rieselte auf die Salate. Da sie oft Essen gingen, wurde dieses
Knirschen ein Geräusch, das sie immer mit Thilo verbinden würde.
    «Sag es
einfach, bitte.»
    «Warum
vergisst du immer alles?»
    Er bohrte
eine Viertelstunde lang, immer

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