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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Gepäck
auf dem Rücken oder ohne. Sie redete nicht viel und hatte mit niemandem Ärger.
Am meisten mochte sie die stillen Tage am Wochenende, wenn sie allein war auf
ihrer Stube und die Flure nicht widerhallten vom Geschwätz und Geschrei der
Rekruten. Sie lief weiterhin täglich und arbeitete viel mit Gewichten, ihre
Muskelmasse nahm rasch zu.
    Auf der
Schießbahn war sie nur Mittelmaß. Das Gewehr war ihr fremd, es gab da eine
alte Abneigung aus der Zeit, als ihr Vater sie in brutaler Frühe geweckt hatte,
um mit ihr zum Hochsitz zu gehen. Er durfte in den Wäldern rings um die LPG
jagen, und drei- oder viermal hockte sie neben ihm auf dem Hochsitz, frierend
vor Müdigkeit und in der ängstlichen Hoffnung, dass kein süßes Reh auftauchen
möge. Oder sie hoffte, dass ein Einhorn erscheinen würde, schneeweiß und
unverwundbar. Lief ihrem Vater ein Reh vor die Flinte, erschrak sie beim Schuss
und wollte unter keinen Umständen das tote Tier anschauen. Bald musste sie
nicht mehr mit. Dies war einer der Versuche ihres Vaters, mit seiner Tochter
auch Sohnesfreuden zu erleben, aber er war nicht verbissen darin, nicht einmal
hartnäckig. Sobald er merkte, dass Esther kein Interesse entwickelte am Jagen
oder am Basteln von Segelbooten in der Werkstatt der LPG, ließ er sie in Ruhe.
    Sie
erschrak immer noch beim Schuss, das musste sie bei den ersten Übungen auf der
Schießbahn feststellen. Aber den Männern ging es nicht anders, und das war der
Maßstab für sie und die anderen Soldatinnen: Wie steht unser Können zum Können
der Männer? Gleichstand war das Ziel, doch sie gaben sich selbst einen kleinen
Rabatt, sodass «fast so gut wie die Jungs» eigentlich hieß: «so gut wie die
Jungs». Sie schoss, erschrak, schoss, erschrak, bis sie sich daran gewöhnt
hatte. Das Gewehr war nun ein selbstverständliches Utensil. Sie putzte es
gründlich, aber nicht zu gründlich, weil es auch Dinge gab, in denen die
Soldatinnen nicht besser sein wollten als die Soldaten, vor allem natürlich
beim Putzen.
    Sie
vereiste innerlich: nichts an sich heranlassen, kein Wort, kein Erlebnis mit
einem Gefühl adeln, nicht einmal die eigenen Erinnerungen, sondern
Konzentration auf die Aufgaben, kaltes Sein.
    Beim
Stubendurchgang stand sie in tadelloser Haltung vor ihrem Spind, mit dem
sicheren Gefühl, dass ihre Sachen gut gefaltet waren. Das war immer ein Sieg
gegen die Ausbilder, die unbedingt etwas beanstanden wollten, und wenn sie
nichts fanden, hatten sie verloren. Sie mussten zu zweit kommen, kein Mann
durfte allein die Stube der Frauen betreten. Bald gab es die ersten Liebschaften,
Ausbilder und Rekrutinnen. Sie verachtete das. Was Sex anging, hatte sich
Esther geirrt in ihrem Bild von der Bundeswehr. Das Geschlechterspiel würde
kaum Bedeutung haben, die Uniform alle gleichmachen, hatte sie gedacht, bevor
sie ihren Vertrag unterschrieb. Aber das war Unsinn. Es wurde geflirtet, es gab
ständig Anspielungen und Zoten, und derbe oder hilflose Anmache gab es auch.
Als sie einmal durch den Schlamm robbten und nicht tief genug unten waren,
schrie der Ausbilder: «Ihr sollt die Erde ficken!» Dann zu ihr: «Du kannst das
ja nicht.» Er drückte ihren Hintern mit der Hand nach unten, bei den Männern hatte
er den Stiefel genommen. Man konnte daraus eine große Sache machen oder auch
nicht. Sie machte es nicht.
     
    An einem
Wochenende fuhr sie dann doch nach Rügen. Sie musste in Berlin umsteigen und
hatte eine Riesenangst, zufällig Greta oder Thilo zu treffen. Sie traf sie
nicht. Dann saß sie wieder im Zug, es war Herbst, braune Felder, leere
Bahnhöfe, verlassene, verfallende Hallen. Schüler stiegen ein, stiegen aus, ein
See ohne Segel, auf einem Hügel ein düsteres Bauernhaus, in dessen Fenster ein
Neonschild leuchtete, roter Rahmen, weiße Schrift. «Open» stand darauf. Zwei
Autos parkten vor dem Haus, im Garten lagen ein alter Kühlschrank, eine alte
Waschmaschine und anderer Schrott. Warum «Open», fragte sie sich, und schaute
lange auf das Schild zurück.
    Endlich
die Kirchtürme von Stralsund, dann die Brücke über das Wasser, und sie war auf
Rügen. Kraniche sammelten sich auf den Feldern. In Bergen stieg sie aus, ihre
Mutter wartete am Bahnhof, lange Umarmung. Ihre kleine, dicke Mutter. Esther
schämte sich, so lange nicht hier gewesen zu sein. Im Auto ein erster Bericht
von den Fischen, die vertraute Melodie, Heimat. Die lange Allee hinter der
Stadt, ein verblasstes Holzkreuz vor einem Baum, vertrocknete Blumen,
vertrocknete

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