Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
Vom Netzwerk:
dort
oben in Verbindung zu stehen, sich vom Computer aus um deren Probleme und
Wehwehchen zu kümmern. Ein bisschen war das auch Jaspers Leben, aber nicht so,
wie er sich das vorgestellt hatte. Sie trug Uniform, sie gehörte nicht zu ihm,
sondern zur Bundeswehr. Sie zog nach Munster, wo sie bald eine kleine Wohnung
hatte, ein paar Bekannte auch. Es war ein gleichmäßiges, ruhiges Leben. Man
hatte feste Dienstzeiten, und meistens ging es darum, die Stunden bis zur
nächsten Mahlzeit rumzukriegen. Man arbeitete so, dass möglichst viel Zeit
gefressen wurde. Sie wusste nicht, ob sie ihren Job mochte oder das, was er für
sie bedeutete: Realität, Ankunft. Sie hatte mit ihren Männern, mit Jasper und
Thilo, immer nur darauf gewartet, dass sich alles ändert, und deshalb zwei
Leben gelebt: den Alltag und den Traum vom richtigen Leben. Am Anfang hatte ihr
an Thilo gefallen, dass er so schöne Leben entwerfen konnte für sie beide. Sie
wollte nicht glauben, dass es daran lag, dass er Filme macht, weil das ein zu
billiger Gedanke war, und sie wollte nicht, dass billige Gedanken mit ihm
verbunden waren. Für sie war es Ausdruck des Drangs, wenigstens ein erträumtes
Leben mit ihr zu haben, wenn schon eine rasche Trennung von seiner Frau nicht
möglich war. Weil er Wien so mochte, lebten sie in Wien, sahen «Die Möwe» im
Burgtheater, tranken einen kleinen Mokka im Bräunerhof und aßen Schnittchen
bei Trzesniewski, danach zogen sie auf einen Negroni in die American Bar, die
Adolf Loos eingerichtet hatte, und küssten sich im honiggelben Licht. Thilo
hatte ihr die Bar so genau beschrieben, dass sie manchmal dachte, sie wäre
schon dort gewesen, hätte unter der Kassettendecke gesessen, in einem kleinen
Raum auf einer Lederbank. «Meine Hand auf deiner Haut», schrieb er ihr, als er in
der American Bar war, um dort mit einem Österreicher über eine Koproduktion
beim «Tagebuch eines Landpfarrers» zu verhandeln. Als sie die SMS gelesen
hatte, war sie kurz froh und lange traurig. Sie waren in Heiligendamm gewesen,
in Marrakesch, aber sonst gab es nur ihre Berliner Treffen, die ihr Leben sein
sollten und sein Nebenleben waren. Warum hatte er sie nicht mitgenommen nach
Wien? Sie hätten die Stadt durchstreifen können, um zu schauen, in welchem
Viertel sie ihre Wohnung suchen würden.
    Nach zwei
Stunden schrieb sie zurück: «Warum schickst du mir zwanzig SMS aus Wien, statt
Wien einmal möglich zu machen?»
    Keine
Antwort. Eine längere Diskussion nach seiner Rückkehr. Sie tauschten Sätze aus,
die es in der Erinnerung des anderen schon gab. So oft hatten sie darüber geredet.
Sie begann, den Irrealis zu hassen: Lägen wir doch jetzt auf einer Wiese.
Könnte ich doch bis zum Morgen bleiben. Hätte ich nur am Wochenende Zeit.
Sätze, die Ersatz waren.
    Auch
deshalb mochte sie es, über einen langen Flur zu gehen, auf dem ihre
Kampfstiefel quietschten, eine Tür zu öffnen, die vor Jahrzehnten grau
gestrichen worden war, ein kleines, spärlich eingerichtetes Büro zu betreten
und dort ihre Arbeit zu machen. Das alles war immer da, hatte eine wuchtige
Präsenz, trotz der Langeweile. Die Uniform half, sich damit abzufinden, dass
einem das Leben keine große Wahl lässt. Es gab keine Frage an den
Kleiderschrank. Wenn Esther morgens um 6.30 Uhr aus dem Bad kam, war die
Entscheidung darüber, wie sie an diesem Tag gesehen werden würde, schon
gefallen. Die Uniform hing über einem Stuhl. Sie lullte sie in Genügsamkeit.
In der Uniform erstarb jeder Anspruch, sie müsse einen Gegensatz zur
Kasernenwelt herausbilden, in der Uniform war Esther bewusst, dass sie Teil
einer Wirklichkeit war, wenn auch keiner berauschenden. Aber sie zweifelte
nicht. Sie hatte ein Talent dafür, aus Entscheidungen richtige Entscheidungen
zu machen, jedenfalls für ein paar Jahre. Sie machte ihren Job gut, sie
verdrängte die Gedanken, die ihr Leben infrage stellen konnten, und sie
forderte sich häufig auf, glücklich zu sein. Weil es ihr ja gutging. So viele
hatten Angst um ihren Job, so viele mussten schmutzige Arbeit machen, so viele
verdienten weniger, als sie brauchten, um sich über Wasser zu halten, so viele
hatten keine Perspektive. Sie schon. Und sie hatte die Aussicht, nach
Afghanistan zu kommen, es würde nicht mehr lange dauern. Sie war bereit, sie
wollte das.
    Die
Nachrichten von dort waren nicht beunruhigend. Es passierte wenig, bislang war kein
deutscher Soldat im Kampf getötet worden. Ihre Sorge war eher, dass es zu
langweilig sein

Weitere Kostenlose Bücher