Kurbjuweit, Dirk
Kränze, so starb man hier.
«Du musst
mir helfen», sagte Esther.
«Was hast
du ausgefressen?»
«Ich bin
Soldatin.»
Ihre
Mutter sah sie an und verriss dabei das Lenkrad ihres Golfs, ein leichter
Schwenker, aber sie fing das Auto rechtzeitig ab.
«Kind,
warum?»
Sie zuckte
mit den Achseln.
«Papa bringt
mich um.»
«Wir
kriegen das schon hin.»
Ihre
Mutter war immer zufrieden, wenn es ein Problem gab, an dessen Lösung sie
mitwirken konnte. Esther hatte dieser Pragmatismus früher irre gemacht, jetzt
war sie froh darum. Der Blinker tickte, sie bogen nach links ab, passierten das
Herrenhaus, passierten die LPG, die jetzt wieder ein Landgut war. Von der alten
Halle stand nur noch das Gerippe. Sie fuhren durch den Wald, der fette
Schubert, einst Traktorist, führte seinen langhaarigen Schäferhund an einer kurzen
Leine aus. Dann kamen die Katen, erst die schönen, renovierten, davor ein
Cayenne, ein Audi, ein Lexus, Dresden, Berlin, Köln.
Er hat
eine Überraschung für dich, sagte ihre Mutter, als sie den Wagen vor ihrer
unrenovierten Kate parkte. Ihr Vater kam heraus, ein mittelgroßer Mann,
drahtig, runder Kopf, dunkles Haar. Der Bauchansatz war neu.
Sie
küssten sich, links, rechts, Esther hatte das von den Studenten aus Greifswald
mitgebracht. Er führte sie gleich hinter das Haus, wo zwei türkisblaue Schwimmbecken
lagen.
«Morgen
ist Auslieferung», sagte er.
Das
Flattern der Kraniche, sie übten Formationsflug. Die Becken waren Muster, wie
sie nun erfuhr, eines von den größeren Becken hatte er nach Binz verkauft.
Esther umarmte ihren Vater, es war Freude, auch Erleichterung. Konnte sie
dieses Fest verderben, indem sie verkündete, dass sie jetzt Soldatin war? Sie
hörte ihrem Vater zu, der ihr die Qualität der Becken erläuterte. Er forderte
sie auf, mit der Hand über den Belag zu streichen, um die Textur zu spüren. Sie
beugte sich tief hinein, weil sie fürchtete, ihre Augen könnten feucht werden.
Beim Abendessen erzählte sie von Berlin und der Cincinnatus Bar, als wäre das
noch ihr Leben. Sie ging früh ins Bett.
Am
nächsten Morgen wartete sie mit ihren Eltern in aller Frühe an der Brücke über
den Strelasund. Es war dunkel, und nach einer halben Stunde sahen sie in der
Ferne das gelbe Blinklicht des Tiefladers. Sie ließen ihn passieren und folgten
mit kurzem Abstand. Das Becken war hochkant auf die Ladefläche geschnallt.
Stille im Golf, während sie über die Landstraße krochen. Es dauerte ewig, und
weil sie das Schweigen in dem kleinen Auto irgendwann nicht mehr ertrug, sagte
sie, dass sie sich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet hatte.
«Was hast
du?»
«Ich werde
Soldatin, Offizier. Es ist ein Job.» Das Schweigen dauerte an, wurde aber
anders, giftig. Das gelbe Licht des Lasters kreiste durch den Golf.
«Du willst
für dieses Land sterben?»
«Für
welches Land?», fragte sie irritiert, weil er das Wort «dieses» so seltsam
betont hatte. «Dieses.»
Seine
rechte Hand löste sich vom Lenkrad und wies nach vorne. Dort fuhr der Tieflader
mit dem Schwimmbecken, das außen weiß und innen blau war. Er drehte sich zu
ihr um, sah sie an. Sie sah weg.
«Ich will
nicht sterben», sagte sie.
Der Golf
scherte abrupt nach rechts, stoppte, ihr Vater stieg aus und entfernte sich mit
raschen Schritten. Der Diesel lief noch, das Auto zitterte, das gelbe
Blinklicht wurde kleiner und blasser.
«Du
hättest das nicht jetzt sagen sollen», sagte ihre Mutter.
«Natürlich
nicht. Aber wann?»
Esther
kauerte sich auf dem Rücksitz zusammen.
Als ihr
Vater zurückkam und weiterfuhr, herrschte ein besseres Schweigen. Wir sind eine
Schweigefamilie, dachte Esther, keine Sprechfamilie. Es war eine Weisheit ihrer
Mutter, dass man nicht über alles reden kann, wenn man eine Familie bleiben
will. In der DDR hatte sie es gelernt, in der Bundesrepublik machte sie weiter
damit. Schweigend hielt sie ihre Familie zusammen.
Im Garten
eines weißen Hauses, das im Bäderstil gebaut war, wartete eine Grube auf das
Schwimmbecken. Ein Kran hob es vom Tieflader, und als es für ein paar Sekunden
über dem Haus schwebte und über Binz, sah Esther ihren Vater lächeln. Sie
klatschten, weil das Becken haargenau in die Grube passte. Ihr Vater
unterschrieb ein paar Zettel, und dann gingen sie in einem Hotel frühstücken.
Esther bestellte Sekt, sie stießen an. Über ihren neuen Beruf sprachen sie
nicht mehr.
Esther
wurde Spezialistin für SatCom-Anlagen, sie mochte es, mit den Satelliten
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