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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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dem
Fahrrad trug einen Turban und war kaum schneller als ein Fußgänger. Etwas
Breites war auf seinen Gepäckträger geschnallt, und als er näher kam, sah
Esther, dass es eine fest verschnürte Ziege war. Die Infanteristen nahmen ihre
Gewehre hoch. Der Fahrradfahrer stoppte bei den Wölfen, sein Gesicht war so
zerfurcht wie die Landschaft, in der er lebte, aber Esther wusste, dass er
deshalb nicht besonders alt sein musste. Sie sagte ihm auf Russisch, Englisch
und Deutsch, dass er nicht weiter könne. «IED», sagte sie und wies mit einer
Hand zur Brücke, «Improvised Explosive Device». Er sah sie verständnislos an,
die Ziege lebte. Esther breitete ruckartig die Arme aus und sagte: «Bumm!» Der
Mann lachte.
    Nach einer
Stunde waren drei Männer, sieben Kinder und zwei Frauen bei ihnen. Die Frauen
trugen blaue Burkas, die kleine Öffnung vor den Augen war vergittert, ringsum
rankten sich gestickte Muster, ebenfalls in Blau. Esther starrte diese Frauen
verstohlen an, sie standen nur da, schweigend, reglos. Die Kinder machten
mehrere Versuche, zu dem Kochtopf zu laufen, wurden aber von den Infanteristen
eingefangen. Die Männer rauchten, einer aß ein Brot, auf das er eine Paste
strich, die er in einem kleinen Behälter bei sich trug. Er bot den Soldaten
etwas an, aber sie lehnten ab. Der Fahrradfahrer hatte seine Ziege vom
Gepäckträger genommen, entschnürt, und nun suchte sie den Boden ab, manchmal
meckernd. Esther war verwirrt. War das der Krieg?
    Die
Kampfmittelbeseitiger kamen mit einem Dingo, einem Truppentransporter und einem
Zweitonner, sie machten viel Staub. Maxi war dabei, Esther hatte es gehofft.
Sie standen nebeneinander, schauten durch ihre Ferngläser auf den Kochtopf. «Da
schicken wir den Theodor hin», sagte Maxi. «Wir müssen ein Stück zurückfahren,
zweihundert Meter Abstand, falls es kracht.» Sie drehten die Fahrzeuge, großes
Rangieren, fuhren zurück. Die Infanteristen scheuchten die Kinder hinter die
Autos, die Erwachsenen folgten missmutig. Die Soldaten, die Maxi mitgebracht
hatte, luden ein kleines Fahrzeug von dem Zweitonner. Es fuhr auf Ketten,
hatte eine Menge Kameras, ein Wasserschussgerät und einen Greifarm. Maxi wies
die Infanteristen an, die Hügel zu beobachten, falls dies ein Hinterhalt sei.
Der Theodor fuhr los, von Maxi über eine Fernbedienung gesteuert. Wie ein
metallener Hund schnurrte er der Brücke entgegen, die Kinder lachten, ein Junge
lief ihm hinterher, großes Schreien der Soldaten, ein Infanterist holte den
Jungen zurück. Maxi und Esther schauten auf den Monitor, als der Theodor am
Ende der Brücke angekommen war. Maxi steuerte ihn dicht an den Topf heran und
schaltete die Kameras durch, aber sie konnten nichts sehen, was eine
Sprengladung oder ein Zünder hätte sein können.
    «Vielleicht
hat nur jemand seinen Topf vergessen», sagte Esther.
    «Dies ist
kein Land, in dem man es sich leisten kann, einen Topf zu vergessen», sagte
Maxi. «Ich muss selbst gehen und mir das ansehen.» Sie steuerte den Theodor
zurück, dann zog sie den Schutzanzug an.
    «Hilft der
Anzug wirklich?», fragte Esther.
    «Er macht
mich zu einer schöneren Leiche. Wenn der Topf hochgeht, werde ich sterben, aber
ich werde nicht zerfetzt sein. Das ist doch was, oder?»
    «Ja, das
ist was.»
    «Sie
wollen, dass wir immer gut aussehen.»
    «Musst du
da wirklich hin?»
    «Ja.»
    Maxi
setzte sich den Helm auf und ging los. Sie sah aus wie ein Tiefseetaucher und
watschelte auch so ähnlich. Das Kabel für die Sprengung rollte hinter ihr ab.
Esther starrte abwechselnd auf die Hügel und auf Maxi. Sie hatte Angst um
diese seltsame, liebenswürdige Frau, die jetzt so verwundbar war. Es durfte
nicht sein, dass sie von einem Scharfschützen getroffen wurde, es durfte nicht
sein, dass sie gleich in einem Feuerball verschwinden würde. Die Hügel glühten
in der Sonne, Schweiß brannte in Esthers Augen. Maxi war bei dem Topf angekommen
und kniete sich hin. Esther sah durch ihr Fernglas, wie sie eine Sprengladung
neben den Topf legte, die Sprengkapsel anschloss und mit dem Kabel verband. Sie
stand auf und watschelte zurück, erst rückwärts, weil der Anzug nur vorne
Schutzplatten hatte, nach ein paar Metern drehte sie sich um. Esther saugte sie
mit ihren Augen förmlich herbei. Maxi war nass unter dem Anzug, die Uniform war
dunkel durchtränkt.
    «Nichts»,
sagte Maxi, «kein Zünder, kein Kabel, aber vielleicht haben sie eine
Sprengladung unter den Topf gelegt, die ausgelöst wird, wenn man den

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