Kurier
gegen den Himmel hob
und laut fragte: »Passt meine Sigrid auch wirklich da rein?«
Sie aßen im Europa-Center und sprachen nicht über das,
was sie beschäftigte. Nur Milan sagte einmal zwischen zwei Bissen: »Es ist
wirklich wie vor dem Gewitter. Die Leute in Amerika sagen: ›Du bist im Auge des
Taifuns.‹ Es ist still, und bald wird es sehr laut sein. Mir passt es nicht, dass
Sigrid in Mehmets Haus ist. Mir passt es nicht, dass Meike Sundern nicht allein
lassen will. Versuch noch einmal, Sundern zu überzeugen. Sie müssen sich
aufteilen, sie müssen da nicht rumsitzen wie auf einem Schießstand.«
»Niemand kommt an sie ran«, sagte Grau, war aber selbst
nicht überzeugt. Er rief an, erwischte Geronimo.
Sundern sei nicht da, Mehmet auch nicht, die Situation
sei vollkommen klar, übersichtlich und ruhig.
»Nichts ist übersichtlich und ruhig«, maulte Milan. »Lass
uns gehen. Kempes Wurstbude ,meine alte Kneipe.« Sie nahmen wieder
ein Taxi.
Milan ließ den Fahrer fast einen Kilometer von ihrem Ziel
entfernt halten. Sie gingen zu Fuß, langsam, leisteten sich den Luxus des
Schlenderns. Als die Bierreklame von Kempes
Wurstbude in Sicht kam, bog Milan in einen Hinterhof ab.
Er führte Grau durch Querverbindungen, Hinterhöfe, zwei
Blocks weit auf der Parallelstraße entlang, wieder durch einen Hinterhof, dann
durch einen winzigen brachliegenden Garten voll wilder Akelei und zuletzt durch
eine Stahltür, die nur angelehnt war. Der Gang dahinter war dunkel und eng, es
stank nach Pissoir, dann nach Kohl und Buletten. Schließlich klopfte Milan an
eine Tür, und sie wurde aufgeschlossen.
»Gut so«, sagte der Wirt mit dem nachgemachten Schnäuzer
von Wilhelm Zwo. »Auf der Straße ist absolut nichts los. Kein Auto, das ich
nicht kenne. Kein Lieferwagen, auch keine zivilen Fahnder der Bullen. Alles sagenhaft
ruhig. Wie viele kommen?«
»Vielleicht einer, vielleicht zwei. Der Mann heißt Gretzki«,
sagte Milan. »Hast du im Fernsehen etwas von dem verbrannten Bauernhaus
mitgekriegt? Das waren wir, Junge, das waren wir!«
»Ihr habt det Ding hochjehen lassen?« Er bekam kugelrunde
Augen.
»Nein, nein, wir waren nur dabei.«
»Ick werd verrückt. Pass uff, ick habe det so arranschiert,
det een kleener Tisch hinter det Billard steht. Da habt ihr Deckung, da kann
sich keen anderer hinsetzen, weil det der einzige Tisch is. Is det jut so?«
»Das ist sehr gut«, lobte Grau. »Sind Gäste da?«
»Nur der olle Quasselkopp, der immer hier ist. Aber der kriegt
nichts mehr mit. Sonst keener. Junge, wie jeet et Sigrid?«
»Gut«, sagte Milan stolz, »wirklich gut. Ich habe ihr
eine Uhr gekauft. Graviert mit meinem Namen. Hast du was zu … hast du eine
Waffe?«
»Bin ick Al Capone? Ick hab nur so ein Holz hinter der
Theke. Wo die Weiber früher Wäsche mit jekloppt haben. Wieso? Schießen diese
Leute?«
»Nicht unbedingt«, sagte Milan. »Ist besser, wenn du
nichts hast. Und wenn doch was passiert: rein in die Küche, Tür zu und warten.
Nicht den Helden spielen. Ich will mit dir noch ein paar Bierchen trinken.«
Der alte, zahnlos mümmelnde Mann hockte vor seinem Bier
und fragte schrill: »Na, Jungens, schwer einen druffjemacht?«
»Und wie!«, sagte Grau freundlich.
Sie hatten noch fünf Minuten.
Milan sah den kleinen Tisch hinter der Billardplatte
genau an. Er stand noch nicht optimal, und er schob ihn fünfzig Zentimeter
weiter nach links. Dann setzte er sich hin und starrte mit schiefem Kopf über
die Platte.
»Gut so. Jeder, der reinkommt, sieht nur die Köpfe. Gut
so.«
»Ick stelle mir vor die Tür«, schlug der Wirt vor. »Da
steh ick oft, da krieg ick meine frische Luft. Du kennst det ja, Milan, du
weeßt, wie ick da steh.«
»Gut. Stell dich raus. Wie immer. Handtuch über der
Schulter, ein Bein an der Wand. Aber dann hinter die Theke und keine
Heldentaten!«
»Ick bin doch keen Held, ick doch nich.«
»Wir können«, sagte Milan.
Sie setzten sich so, dass Gretzki den besten Platz mit
Blick über die Billardplatte zum Eingang hin haben würde. Jeder von ihnen
stopfte sich eine Pfeife und sie grinsten sich vage an. Milan war sehr ruhig,
Grau sehr aufgeregt.
Gretzki kam in einem schweren BMW. Er thronte vorn neben
dem Fahrer. Hinten saßen zwei weitere Männer. Der Fahrer und die Bodyguards
blieben sitzen, hatten aber offensichtlich alles im Blick, der Wagen fuhr
dreißig Meter weiter und blieb dann stehen.
Der Wirt sagte etwas zu laut und etwas zu forsch:
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