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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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Helga
geht wieder hin und zeigt noch mal die Dollars und den Koks. Auch noch mal die
Leiche von Steeben, die Fotos von Thelen und White und noch mal das Hotel. Du
lieber Gott, du kannst dir nicht vorstellen, was draußen los ist.

    Aber: Niemand weiß, wo du bist, wo Meike ist. Ihr seid einfach
verschwunden, verstehst du? Falls Sundern hier einen Presseheini trifft,
schlägt er ihm die Zähne ein. Nur die Helga Friese weiß, wo du bist. Sie ruft
jeden Tag an und schickt jeden Tag Blumen. Grau, weiß du, wie viele Blumen du
bekommen hast? Draußen im Gang stehen ungefähr zwanzig Vasen rum. Alle Kranken
auf diesem Flur haben am Bett deine Blumen stehen. Die Orchideen auf dem Schreibtisch
vom Chefarzt sind von Sigrid. Ich soll dich grüßen und dir sagen, dass sie dich
liebt. Sie liebt dich wirklich, Grau.«

    »Hat sie sich über die Uhren gefreut?«

    »Sie musste sich ein bisschen besaufen, weil sie sonst
nicht mit dem Heulen aufgehört hätte.«

    Es klopfte. Geronimo schob sich mit sehr feierlichem Gesicht
herein. Ihm folgte seine Frau, die mindestens so dick war wie er selbst. Ihr
folgten seine Kinder, fünf an der Zahl. Grau erkannte in ihnen die verängstigte
Truppe wieder, die vor gar nicht allzu langer Zeit im Penthouse auf dem Teppich
gehockt hatte.

    Geronimo sagte kein Wort, legte einen dickbäuchigen
Blumenstrauß auf das Bett und betrachtete Grau wie den lange verloren
geglaubten Sohn. Dann gluckste er: »Sieh dir diesen Grau an!«

    »Wie geht es Mehmet?«, fragte Grau, um die Peinlichkeiten
im Keim zu ersticken.

    »Oh!«, sagte der Dicke theatralisch. »Er schimpft wie verrückt.
Und mit wem schimpft er? Mit mir!« Dann lachte er lauthals.

    Nach fünf Minuten hochkonzentrierten Wirbels warf Milan
Geronimo samt Familie hinaus. »Haut ab«, sagte er lachend. »Ihr seid so
unverschämt gesund.«

    »Wann kann ich Meike sehen?«, fragte Grau und schaute
Milan dabei nicht an.

    »Hm«, sagte Milan. Er stand auf, ging zur Tür und machte
sie weit auf.

    Da hockte Meike wie eine Königin in einem Rollstuhl, und
hinter ihr stand der Arzt namens Gebhard.

    Sie sagte aufgeregt: »Hallo, Grau!«

    »Hallo«, sagte er.

    Sie sah faszinierend gut aus. Sie trug irgendetwas höchst
Mondänes, Weißes, Seidenes und musste eben beim Frisör gewesen sein.

    »Nun schieb schon«, sagte sie zu Gebhard.

    »Du kannst das selbst«, sagte er. Dann ging die Tür zu
und sie waren allein.

    »Ich kann das wirklich selbst«, sagte sie mit einem nervösen
Kichern, drehte die Räder und rollte auf das Bett zu. »Hallo, Grau«, sagte sie
noch einmal.

    Natürlich wollte er aufstehen, natürlich schwang er die
Beine seitlich aus dem Bett, und natürlich wollte er sich hinstellen. Aber das
alles funktionierte nicht. Irgendetwas in seiner Hüfte stach heftig. »Scheiße«,
sagte er.

    »Lass nur.« Ihr Rollstuhl stieß ans Bett. »Du musst vorsichtig
sein, Grau. Du hast da ein Loch unterm Bauch. Ich könnte es malen, weil Gebhard
es mir genau erklärt hat.«

    Ihre Hände flatterten. »Ich war immer so stolz auf meine
kleinen Füße, Grau. Jetzt habe ich nur noch einen.« Sie saß starr da und weinte
lautlos.

    »Das macht doch nichts«, sagte er rau. »Ich meine, mir
macht das gar nichts. Und wir können ja … es gibt ja … Ach Scheiße, mir macht
es nichts, Meike. Ich liebe dich, und so ein blöder Fuß ändert nichts daran.«

    Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Du wolltest doch
irgendwohin verreisen, nicht? Na ja, wir bleiben halt noch ein paar Tage bei
Gebhard, und dann hauen wir ab. Und das bisschen Hinken … Ach, Scheiße, Kern,
ich liebe dich, und du musst mich hier nicht so rumstammeln lassen.«

    Es war lange sehr still.

    Dann sagte sie: »Gebhard sagt, es gibt Prothesen, die bemerkt
man kaum. Mit Söckchen sieht man die so gut wie gar nicht. Aber das hat noch
Zeit.«

    »Ja.«

    »Ich meine, würdest du mir helfen, mit einer Prothese …?«

    »Ja.«

    »Gebhard sagt auch, dass ich ansonsten vollkommen okay
bin. Und psychisch, sagt er, schaffe ich das mit links. Na sicher, es dauert
Monate, bis man das probieren kann, aber dann geht es sehr schnell. Und es gibt
Therapeuten und Physiologen und Masseure und Bäder … jedenfalls ist es zu
schaffen.« Sie weinte wieder lautlos.

    »Außerdem bin ja ich da mit meinen dummen Sprüchen«,
sagte er weich.

    »Ja, Grau. Ich brauche jetzt eine Menge dummer Sprüche.«

    »Ich weiß, und ich glaube, du redest auch von Anna. Von
deiner Anna.«

    »Ja, Grau.«

    Der Regen

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