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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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hatte jemand gesprüht: Jesus war ein Ausländer! Kein einziges Geräusch war zu
hören.

    Die uralte Tür zum Keller war in der Mitte auseinandergebrochen
und hing nun als armseliges Trümmerstück in ihren Angeln. Es quietschte grässlich,
als er sie beiseiteschob. Er drehte am Lichtschalter, aber der funktionierte
nicht, und Grau nahm ein Gasfeuerzeug zu Hilfe. Jemand hatte an die Wand
gesprayt: Wenn du gut vögeln kannst,
sparst du hier viel Miete! und Hitler
war gar nicht so ohne! Es roch nach Urin, irgendwo gluckerte Wasser.

    Er ging langsam vorwärts und tastete sich nach rechts
durch einen sehr schmalen Gang zwischen Holzverschlägen aus einfachen
Dachlatten, dahinter vermutete er das übliche alte Gerümpel, das keiner mehr
haben wollte.

    Er horchte in sich hinein. Sein Atem ging eindeutig zu
schnell und er musste sich eingestehen, dass kalte Angst in ihm hochkroch. Er
blieb stehen, holte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Die
Erregung blieb. Er hockte sich hin und schloss die Augen, um sich auf die
Geräusche des Hauses zu konzentrieren.

    Eben noch hätte er es als totenstill bezeichnet, da er
aber nun auf all das lauschte, was vorher unhörbar geblieben war, nahm er
deutlich den immer schneller werdenden Atem des Tages wahr.

    Jemand ging im Treppenhaus nach unten, mit sehr harten
Schuhen. Draußen auf der Straße hielt ein Auto, eine Tür ging auf, jemand rief:
»Kalli, mach schnell, wir müssen los!« Dann rauschte es in der Kanalisation,
ein Kind fing an zu weinen und wurde zur Ruhe gebracht, eine Frau jammerte
weinerlich: »Ich kriege die U-Bahn nicht mehr.«

    Grau konzentrierte sich auf seine rechte Schulter, er schloss
die Augen und zwang sich behutsam, erst flacher zu atmen, dann sehr tief. Er
fühlte das Blut sehr warm und lebendig durch die Schulter fließen und verfolgte
es bis in seinen Ellenbogen, dann in die Hand.

    Er spürte jeden Finger, fühlte befriedigt, wie sein Atem
langsamer wurde. Er folgte erneut dem Blutstrom bis in den Bauch. Dann stand er
auf und reckte sich zur Decke. Er stieß mit den Händen an schmutzig-rauen Beton
und legte die Fingerspitzen dagegen. Er fühlte das Material. »Du kannst jetzt
gehen«, sagte er laut zu sich selbst.

    Das Vorhängeschloss vor der letzten Kellerkammer nach
links war geknackt, wahrscheinlich von einem Einbrecher. Er ging hinein und
tastete die Wand zum Nachbarhaus ab. Sehr vorsichtig klopfte er mit den Knöcheln
dagegen. Er spürte genau, an welchen Punkten die Wand hauchdünn wurde.

    Er nahm den Hammer und schlug mit aller Kraft zu. Der
Hammer fuhr glatt hindurch und machte nicht einmal sonderlich viel Krach. Die
Wand bestand aus sehr dünnem Material, das ihn irgendwie an Styropor erinnerte.
Schnell verbreiterte er das Loch mithilfe seines rechten Fußes, bis er
schließlich hindurchschlüpfen konnte.

    Als er im Nachbarkeller stand, bemerkte er erleichtert, dass
die Fensterschächte hier größer waren und mehr Licht hereinkam. Das hier war
kein Verschlag, sondern ein großer Raum. Offensichtlich war er früher einmal in
viele Verschläge unterteilt gewesen, aber wahrscheinlich hatten die Bewohner
die Trennwände herausgerissen, um das Holz zu verfeuern, aus denen sie vermutlich
bestanden hatten. Es herrschte ein unbeschreibliches Chaos, zwei, drei oder
mehr Mietergenerationen hatten achtlos ihren Plunder hinterlassen.

    Grau suchte geduldig nach einer Platte oder einem Stück
Pappe, um das Loch in der Mauer zumindest vor flüchtigen Blicken zu verbergen.
Der penetrante Gestank von Kot, Urin, Essensresten, Marihuana und Tabak stach
ihm in die Nase.

    Seine Augen gewöhnten sich langsam an das schummrige
Licht. Er entdeckte eine alte Matratze und gleich daneben das Kopfende eines alten
Bettes. Er stellte die Matratze schräg vor das Loch, das schwere Brett stemmte
er hochkant über Eck dagegen, denn es durfte nicht zu gewollt aussehen, nicht
wie geplant.

    Er lauschte angespannt und wartete geduldig, bis er in
der Lage war, etwas wahrzunehmen. Er war jetzt ganz gelassen. Ein verdächtiges
Geräusch hörte er nicht. Irgendwo rauschte eine Klospülung, daneben plärrte ein
Radio. Aber er war nicht sicher, ob es wirklich aus diesem Haus kam.

    Dann plötzlich Atemzüge neben ihm, deutlich, unüberhörbar.
Einen Augenblick lang glaubte er, er wäre lediglich überreizt, hörte aber dann
eindeutig einen fremden Atem. Er bewegte sich ganz ruhig vorwärts, bemühte sich
aber nicht, besonders leise zu sein. Wer auch immer da

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