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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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atmete, es hörte sich
an, als ob er schliefe, obwohl Grau es kaum glauben konnte, dass da jemand
trotz des Hammerschlages, mit dem er die Mauer durchstoßen hatte, gemütlich
weiterpennte.

    Grau strich an einem Winkel vorbei, in dem es unbeschreiblich
stank. Vermutlich diente der als Toilette. Dann nahm er dahinter eine alte
blaue Matratze mit eingewebten Blumen wahr. Darauf einen Deckenhaufen. Und
dieser Deckenhaufen bewegte sich!

    Es waren keine unruhigen, keine hektischen Bewegungen,
dieser Jemand räkelte sich ganz gemächlich. Grau überlegte einen Moment, ob er
einfach weitergehen sollte. Dann sagte er sich energisch, dass schließlich er
der Angreifer war. Er zog die oberste Decke mit einem schnellen Ruck herunter.

    Es waren zwei, und sie waren beide nackt. Sie lagen da
mit ineinander verschlungenen Armen und Beinen, als könne der eine nicht ohne
den anderen sein. Ihre armseligen schmalen Körper schimmerten ganz weiß und
zeigten eine schmerzliche Verletzbarkeit. Sie waren noch halbe Kinder, Grau
schätzte sie auf vielleicht fünfzehn oder noch jünger.

    Er fragte grob und gewollt autoritär: »Was macht ihr denn
hier?«

    Das Mädchen hatte einen wilden, grellroten Irokesenschnitt,
die Schminke in ihrem Gesicht war völlig verschmiert. »Heh, was willst du denn?
Willst du eine Nummer?«

    »Nein«, gab Grau verblüfft zurück.

    Der Junge hatte merkwürdig helle Augen und trug den
Hahnenkamm auf dem ansonsten glatt rasierten Schädel in Grellgrün und Blau. Er
sagte empört: »Heh, Macker, lass uns weiterpennen!«

    »Geht nicht«, sagte Grau. »Ich brauch mal ein paar Tipps.«

    »Aber Jakob hat gesagt, wir können hier knacken«, schrillte
das Mädchen giftig. »Jakob hat sogar gesagt, wir können hier Möbel reinstellen
und, wenn es kalt wird, auch einen Ofen.«

    »Wie lange seid ihr denn schon hier?«

    »Zwei Monate«, erklärte der Junge.

    »Zieht euch erst mal was an«, befahl Grau. »Dann reden
wir weiter.«

    »Heh«, sagte das Mädchen hell. »Kommt nicht infrage. Du
willst bloß eine Gratisnummer. Die Tour kenne ich.«

    »Will ich eben nicht«, sagte Grau. »Was kostest du denn
überhaupt?«

    »Einen Hunderter, aber nur mit Präser.« Das kam sehr
schnell.

    »Du bist zu dreckig für einen Hunderter«, sagte Grau cool.

    »Du kannst auch mich haben«, sagte der Junge, »am Arsch
bin ich sauber.«

    »Vermutlich kostest du auch hundert Mark.« Graus Stimme
war voll Verachtung. »Du hast doch so viel Angst, dass du gleich kotzt.«

    Der Junge wandte schnell den Kopf, nahm einen Zipfel der
Decke und zog ihn sich über den Bauch. »Stimmt ja gar nicht«, sagte er rau.

    »Wer bist du denn überhaupt?«, fragte das Mädchen neugierig.

    »Ich bin beruflich hier«, sagte Grau grob. »Zieht euch
was an. Aber dalli!«

    »Mensch, wo sollen wir denn hin?« Das Mädchen ging jetzt
heftig in die Defensive. Sie richtete sich auf und sah Grau scharf an, als
wollte sie ihn ihrerseits einschüchtern.

    »Ich werfe euch nicht hinaus«, beruhigte Grau sie. »Aber
irgendwann solltet ihr schließlich wieder nach Hause gehen. Wo seid ihr denn zu
Hause?«

    Der Junge wollte offenbar nicht antworten und sah das
Mädchen beschwörend an. Er sagte ausweichend: »Ich bin unheimlich down.«

    »Und ich bin müde«, kam ihm das Mädchen zu Hilfe. »Du
siehst auch so aus, als hättest du durchgemacht.«

    »Habe ich auch«, gab Grau zu. Er zündete eine Zigarette
an und hockte sich auf die Fersen. »Ich stinke nach Whiskey und Kneipe und
billigem Parfüm. Wie lange schlaft ihr schon hier unten?«

    »Die Punkies oben im dritten sind ganz nett. Aber die haben
grade Besuch aus München und deshalb müssen wir hier im Keller pennen. Wenn der
Besuch endlich abhaut, können wir wieder rauf. Die sind wirklich nett zu uns.
Bist du Alki?«

    »Nein, bin ich nicht«, sagte Grau. »Nur manchmal, wenn
mir alles zum Hals raushängt, mache ich einen drauf.«

    »Und dann traust du dich nicht mehr nach Hause!«, höhnte
der Junge.

    »Ich habe keine Familie«, sagte Grau leise. »Also red
nicht so einen Scheiß.«

    »Wie viel Uhr ist es?«, fragte das Mädchen ablenkend.
    »Kurz nach sieben.«

    »Wieso bist du denn so früh unterwegs?«, fragte der Junge.

    »Der Besitzer ist mein Freund. Die Behörden wollen von
ihm wissen, wer hier wohnt, wie viele das sind und woher sie kommen und so
weiter. Außerdem wird hier Gas abgezapft und Strom, aber kein Mensch bezahlt
einen Pfennig. Das berappt alles mein Freund. Also muss er

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