Kurier
wenigstens wissen,
was los ist in diesem Kasten.«
»Und dann holst du die Bullen!«, stellte der Junge wütend
fest. »Und die schmeißen uns dann raus. Du reißt den Scheiß hier auseinander
und baust teure Wohnungen. Ich weiß doch, wie das läuft.«
»So läuft es eben nicht«, widersprach ihm Grau. »Jedenfalls
nicht bei mir.«
»Mir ist kalt«, wimmerte das Mädchen. Sie zog die Decke
über ihre kleinen Brüste hoch.
»Kennst du die da oben auch, diese Indianer?«, fragte der
Junge plötzlich begierig. »Die im vierten?«
»Du meinst die Peruaner?«, fragte Grau lächelnd. Du lieber
Himmel, das läuft ja wie am Schnürchen. »Nein, die kenne ich noch nicht. Wieso?
Sind das gute Typen?«
»Na ja, sie sollen irgendwie cool sein. Sie haben Koks,
jede Menge Koks. Sie haben es im Haus verteilt und sie …«
»Wir haben nichts gekriegt«, maulte das Mädchen.
»Wir waren noch so spät am Bahnhof, weil wir ein paar alte
Macker angebaggert haben. Und dann haben wir nichts mehr gekriegt, weil es
schon zwei Uhr durch war. Aber heute kriegen wir was, hat Mieze gesagt. Die
Indianer machen ja keinen Schritt aus der Wohnung, wir müssen uns an Mieze
halten.«
Mieze!, dachte Grau. »Ihr könnt euch doch auch etwas
kaufen«, sagte er und warf ihnen einen Hundertmarkschein auf ihre Decken.
»Dafür kriegst du rein gar nichts«, murrte der Junge.
»Was soll eigentlich diese ständige Motzerei?«, fuhr Grau
ihn an. »Wenn ich euch einen Hunderter hinschmeiße, dann eben einen Hunderter,
kapiert? Du solltest aufhören, mich anzumachen, sonst schmeiße ich dich in den
Rinnstein. Wenn du schlecht gelaunt bist, ist das dein Bier. Lass es nicht an
mir aus, klar? Ich wollte bloß fragen, ob ihr einen Joint habt.«
»Für einen Hunni?« Der Junge war immer noch misstrauisch.
»Hör doch endlich auf zu motzen«, sagte das Mädchen
klagend. »Wenn er einen Joint will, dann kann er doch einen haben.« Sie kramte
in ihren Klamotten herum.
»Gutes Zeug?«, fragte Grau.
»Na ja, es geht so«, antwortete das Mädchen.
»Zieht euch endlich was an«, sagte Grau erneut. »Hier unten
ist es feucht und kalt.«
Das Mädchen gab ihm etwas Hasch und er betrachtete den
kleinen braunen Krümel auf seiner Handfläche. Er hatte noch nie im Leben
Haschisch geraucht, es hatte ihn einfach nicht gereizt. Nun nahm er eine
Zigarette, zerbröselte sie und vermischte das Haschisch mit dem Tabak. Das
Mädchen warf Zigarettenpapierblättchen in seine Richtung und Grau versuchte
mühsam, eine Zigarette zu drehen. Es gelang einigermaßen.
»Das hast du auch noch nicht oft gemacht.« Das Mädchen
hatte ihn durchschaut. »Du hast sogar den Filter vergessen.«
»Stimmt«, gab Grau zu. Er zündete die Zigarette trotzdem
an. Sie schmeckte süßlich fade, roch entfernt nach Vanille. »Das ist aber gar
nicht gut, das Zeug«, behauptete er. »Wollt ihr denn nie mehr nach Hause?«, fing
er plötzlich wieder an.
»Nein«, antwortete der Junge kurz und bündig. »Hast du
einen Job für uns? Egal was. Hast du einen?«
Grau schüttelte den Kopf. »Wenn ich euch einen Job gebe,
kommen die Bullen, weil sie nach euch fahnden. Dann sitze ich mit drin.«
»Meine Eltern suchen nicht nach mir«, versicherte ihm der
Junge hastig. »Die sind froh, dass ich abgehauen bin. Zoras Eltern gibt es
nicht. Ihre Eltern sind ein Waisenhaus. Also, wenn du einen Job hast …«
»Mal sehen«, sagte Grau lapidar. »Haben die Peruaner da
oben wirklich so viel Koks?«
»Irgendeine aus dem Haus hat behauptet, sie hätten eine
Zuckerdose auf dem Tisch stehen, voll mit dem Zeug. Aber was ist, wenn sie
Zyankali druntergemischt haben?«
»Niemals«, widersprach Zora zornig. »Die nehmen es doch
selber. Also ich sniefe es jedenfalls, wenn ich es kriege.«
»Spritzt ihr auch?«, fragte Grau.
»Auch, aber selten. Zu teuer.« Der Junge gähnte ausgiebig
und schüttelte sich dann, weil er fror.
»Wie ist das mit Aids?«
Der Junge wurde den Bruchteil einer Sekunde lang starr.
»Was soll das? Wenn wir mit Präser arbeiten, geht das doch. Außerdem ist Aids
ja nicht schnell. Du kannst es haben und trotzdem alt werden.«
»Das ist falsch«, widersprach Grau. »In zehn Jahren bist
du damit tot.«
»Ha!« Zora triumphierte. »Was ich immer gesagt habe.«
»Was soll’s?«, fragte der Junge laut. »Und wenn schon?«
»Wieso sind die Peruaner eigentlich hier?«
»Mieze bedient sie. Sie hat gesagt, die wären ihre Gäste
für ein paar Tage. Sie geht auch
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