Kurier
wiederholte Grau störrisch. »Heroin.«
»Kauf ich nicht«, versicherte ihm Geri, dann erschrak er:
»O Scheiße, Mann, tut mir leid. Ich wusste ja nicht …«
»Macht nichts«, beruhigte ihn Grau.
»Hast du geweint?«, fragte Geri und sein Kindergesicht
war ganz starr. Er sah Grau nicht an, er starrte durch die Fenster, deren Scheiben
zerbrochen waren.
»Ja«, sagte Grau. »Aber nicht sofort. Erst später, viel
später.«
»Wann?«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube, zwei Monate.
Ich war im Frühling in den Alpen, in einem Hochtal. Es war ganz zartgrün und
ich habe daran gedacht, dass meine Tochter das immer geliebt hat. Dann habe ich
geweint. Stundenlang. Jetzt hab ich es wieder verlernt.«
»Ich habe es auch verlernt«, gestand Geri. »Wie hieß
sie?«
»Eichhörnchen«, sagte Grau. »Wir nannten sie nur Eichhörnchen.«
»Und jetzt? Ich meine, was denkst du denn von Heroin?«
»Es ist tödlich«, sagte Grau fest. »Das Schlimmste ist:
Es versaut dein ganzes Leben, du kommst gar nicht mehr zum Leben. Ach, vergiss
es.«
»Was ist mit Kokain?«
»O Junge, nimm mich doch nicht so ins Gebet. Ich glaube,
wenn du Rauschgift als Krücke benutzt, bist du in jedem Fall im Eimer.«
Geri antwortete nicht.
Dann raschelte es hinter ihnen und Zora rief begeistert:
»Ich habe hundertachtzig Mark verpulvert.« Sie schleppte eine Unmenge
Plastiktüten.
»Wo kann ich denn hier mal pinkeln?«, fragte Grau beiläufig.
»Neben der Eingangstür ist ein Lokus«, erklärte ihm Zora.
»Aber beeil dich, es gibt Frühstück.«
»Ich muss auch mal pinkeln«, knurrte Sigrid. »Ich muss sogar
sehr dringend pinkeln.« Sie stand auf, versperrte Grau aufdringlich den Weg und
fummelte an ihrem Rock herum.
»Machen Sie doch schnell«, sagte Grau grob.
»O Mann«, keifte sie zurück, »was kann ich denn für deine
schlechte Laune?«
»Er hat keine schlechte Laune«, sagte Zora mild. »Er ist
unser Gönner.«
»Kinderficker«, schnaubte Sigrid.
»Halt die Schnauze!«, fuhr Geri sie an.
Sigrid drehte sich um und ging vor Grau her. Hinter ihnen
husteten die Männer, räusperten sich laut, stöhnten behaglich, brabbelten vor
sich hin oder schimpften wegen nichtiger Dinge.
»Heh«, rief Zora laut. »Heh, ihr Penner. Es gibt Brötchen
und Milch, Wurst und Käse. Wer gut drauf ist, kriegt Wein. Alles kostenlos.«
»Mein Gott, wo ist Milan?«, fragte Sigrid vor der Tür voller
Angst. »Hat er es geschafft?«
»Wahrscheinlich. Mein Weg war jedenfalls kinderleicht.«
»Meiner auch. Aber wo zum Teufel steckt Milan?«
Milan stand auf der Treppe zum Keller und grinste fröhlich.
Sigrid umarmte ihn. »Es geht doch ganz leicht«, sagte er behutsam.
»Mach schnell, ich habe keine Zeit«, zischte Grau. »Ich muss
wieder rauf.«
»Ich bin im Erdgeschoss bei den Skins«, erklärte Milan.
»Es ist dort relativ sicher, solange sie zugedröhnt sind. Sie haben ein
Viertelpfund Marihuana in Gemüsebrühe gekocht und sind noch alle zu. Was ist
mit dem vierten Stock?«
»Eine Wohnung«, sagte Grau. »Das Mädchen heißt Mieze, sie
hat die Peruaner aufgenommen. Sie verpflegt sie auch und so. Sie steht ungefähr
um zehn Uhr auf.«
Milan überlegte. »Das ist zu spät. Zwei Stunden sind zu
lange. Kannst du versuchen, eher Kontakt zu bekommen? In einer halben Stunde
etwa?«
»Ich versuche es«, versprach Grau. »Wie sieht es denn
draußen aus?«
»Mehmet hat sechzehn Autos herumstehen, die Peruaner
haben also nicht den Hauch einer Chance. Weißt du, wie diese Wohnung im vierten
aussieht?«
»Ich weiß es«, trumpfte Sigrid auf. »Also: ganz schmaler,
kurzer Flur. Erste Tür links das Bad. Rechts ist nur eine Tür ins Schlafzimmer.
Geradeaus das Wohnzimmer. Sonst nichts. Atze war drin, Atze hat es mir gesagt.«
»Wir müssen uns festlegen.« Milan machte jetzt Druck.
»Also: Zwischen halb neun und neun kommt der Kontakt zu Mieze. Das machst du,
Grau. Okay? Wir müssen versuchen, sie auszutauschen, auch klar? Sigrid,
Täubchen, du hockst ab neun Uhr besoffen auf der Treppe vom dritten zum vierten
Stock. Egal, was passiert, du hockst da. Okay? Ich mache den Pendler.«
»Weiß jemand, dass wir hier drin sind?«
»Von Mehmets Leuten jedenfalls keiner. Aber das regle ich
jetzt. Ich sage ihnen, sie sollen einen leeren Wagen um die Ecke stellen. Sie
sollen die Schnauze halten und nicht eingreifen.«
»Gut so«, lobte ihn Grau. »Sind die Peruaner bewaffnet?
Weiß das jemand?«
»Keine Ahnung. Aber
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