Kurier
ein großes L. Der kleinere Bau
entpuppte sich als Scheune. Zwei Fenster im ersten Stock des Wohnhauses waren
hell erleuchtet, und vor der Eingangstür parkte ein schwerer Mercedes mit
Berliner Kennzeichen.
»Schau mal, da ist eine Spur.« Milan deutete auf den aufgeweichten
Boden. »Sie führt in die Scheune. Also, erst genau untersuchen, dann
überlegen.«
Das Scheunentor war verschlossen, aber dann entdeckten
sie im Schummerlicht noch eine schmale kleine Tür, und die Klinke ließ sich
problemlos herunterdrücken. Sie gingen hinein.
Milan spielte im Dunkeln mit seinem Feuerzeug herum,
bekam eine kleine Flamme zustande und gab Grau gleichzeitig einen kumpelhaften
Stoß. »Sieh an«, sagte er und das Feuer erlosch. »Wir müssen uns an die
Dunkelheit gewöhnen. Keine Hast.«
Da stand ein altes Mercedes-Cabriolet, knallrot und
offen. »Ein antikes Stück«, sagte Grau.
»Es ist Meikes«, sagte Milan. »Ich habe es doch gerochen,
dass man sie geholt hat.«
»Sicher?«
»Ziemlich sicher. Stand am Memphis, als wir zum ersten Mal dort waren. Stand auch heute Abend
bei Mehmet, ehe sie mit dir gesprochen hat. Es ist Meikes Auto, das ist klar.
Nase hat die Peruaner geholt, die Peruaner haben sich Meike geholt. Sundern und
Mehmet wollen Nase. Also schnappt Nase selbst sich Meike und kann verhandeln.«
»Wir müssen erst ganz sicher sein«, sagte Grau aufgeregt.
»Lieber Himmel, ist das ein Chaos. Ruf Geronimo an und gib ihm die
Fahrzeugnummer durch. Aber sag nicht, dass wir hier sind.«
»Gut, gut«, sagte Milan. »Da steht eine Leiter. Merk dir,
wo. Wir brauchen sie vielleicht nachher.«
Grau stand an der Tür Schmiere und beobachtete das
Wohnhaus im spitzen Winkel, während Milan ins Telefon flüsterte.
Das Gespräch war kurz. »Es ist tatsächlich Meikes Wagen«,
sagte er dann zu Grau. »Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir versuchen es
vorsichtig von außen oder wir gehen rein ins Haus.«
»Was ist sicherer?«
»Am sichersten ist: Erst Reifen zerstechen, dann ins Haus
gehen.«
»Also machen wir es so«, stimmte Grau ohne Zögern zu.
»Bist du ruhig genug?«
»Ja.«
Der Regen peitschte ihnen ins Gesicht, und der Wind pfiff
in den grellsten Tönen. Pfützen hatten sich gebildet, und wenn sie nicht
höllisch aufpassten, platschten sie bei jedem Schritt in eine hinein. Der
Himmel war pechschwarz.
»Langsam«, mahnte Milan. »Nimm deinen Colt. Schieß nur,
wenn du meinst, es muss sein.«
»Ja, ja!« Grau reagierte wütend. »Machst du Meikes Wagen
auch platt?«
»Aber sicher.« Milan grinste. »Denk dran, einfache Regel:
Wenn ich den rechten Arm hebe und normale Hand zeige, dann ist alles okay. Wenn
ich eine Faust mache, droht Gefahr.«
»Wie in Vietnam«, sagte Grau.
»Wie in Sarajevo«, verbesserte Milan. Er zerstach die Reifen
auf der linken Seite des Cabriolets. Wind und Regen waren so laut, dass ein
unerwünschter Lauscher das Zischen der entweichenden Luft unmöglich hören
konnte. Sie schlüpften wieder hinaus.
Milan ging voran und machte eine kreisende Bewegung mit
dem rechten Arm. Sie bewegten sich langsam und in gespannter Erwartung. Die
Lichter in den beiden Fenstern brannten noch immer. Die beiden Männer kamen an
die Querseite der Eingangstür. Milan stellte sich dicht davor und lauschte eine
Weile. Dann machte er sich an den Reifen des Mercedes zu schaffen, bevor er
weiterschlich.
Schließlich landeten sie in einem verwilderten Garten, in
dem kniehohes Gras wucherte. Hier endete das Wohnhaus, und die Scheune begann.
Plötzlich wuchs ein dichtes Holundergestrüpp vor ihnen auf und sie krochen um
das Monstrum herum. Auf der nach hinten gelegenen Scheunenseite war altes Holz
gestapelt.
»Wir probieren es durch die Scheune«, schlug Milan vor.
»Da muss es eine Verbindungstür geben. Bauernhäuser sind alle gleich, es gibt
immer Durchlässe. Schöner Hof.«
»Wie im Bilderbuch«, stimmte Grau ihm zu. »Es wird
langsam heller.«
»Nicht mehr reden jetzt!«, befahl Milan.
Sie bogen um die Ecke der Scheune und schlüpften wieder
durch die kleine schmale Tür. Milan stieg in das Cabriolet und kam sogar mit
einer Taschenlampe zurück. Hinter dem Auto stand eine alte Kutsche, und zwei
alte Eggen und zwei Pflüge rosteten vor sich hin. Dahinter die Tenne. Rechts
und links gähnte die Leere alter, ausgeräumter Ställe mit steinernen Koben.
Darüber türmten sich schon brüchig gewordene Heuballen.
Milan zeigte wortlos hinauf, deutete dann hinter sich, und Grau begriff
Weitere Kostenlose Bücher