Kurier
sofort.
Er holte die alte Holzleiter. Sie war etwa fünf Meter lang und er hatte Mühe,
sie an all den Gerätschaften so geräuschlos wie möglich vorbeizuschleppen.
Mit Milans Hilfe lehnte er sie gegen das Gebälk; Milans Schatten
turnte blitzschnell und behende hinauf, Grau folgte etwas langsamer und weniger
gewandt. Oben angelangt, krochen sie über die Heuballen auf die Wand zu, die
Scheune und Wohnhaus voneinander trennte. Bis auf das Rauschen von Regen und
Wind war es geradezu unheimlich still.
Sie tasteten sich bis zu einem Durchlass: Er entpuppte
sich als Luke, etwa ein mal zwei Meter groß und durch eine ziemlich kompakte
Tür versperrt. Zwei Riegel hielten sie fest, es gab kein Türschloss. Milan
drehte sich um und grinste erfreut: wenigstens ein Schlupfloch. Dann leuchtete
er mit der Taschenlampe die Tür ab, hob plötzlich die Faust, löschte das Licht
und verschwamm mit der Dunkelheit.
Eine Weile verharrten sie vollkommen reglos, dann knipste
er die Taschenlampe wieder an und tastete mit ihrem Strahl die Riegel ab. Die
eisernen Verschlüsse glänzten leicht: Sie waren frisch geölt. Dann glitt der
Lichtkegel der Taschenlampe nach unten. Unter der Tür hindurch wanderten zwei
Drähte, ein blauer und ein roter, mitten zwischen die Heuballen.
Milan bewegte sich geschickt vorwärts, bis dicht an die Drähte
heran. Sie waren ganz neu, sie waren nicht einmal staubig.
Grau sah Milan an. »Was ist das?«, fragte er flüsternd.
»Sprengsatz. Heu weg! Schnell!« Milan wuchtete den ersten
Ballen unmittelbar vor der Tür hoch und stemmte ihn Grau entgegen. Die Drähte
verliefen im Ungewissen. Milan hob Ballen um Ballen mit Elan, aber dennoch ganz
vorsichtig hoch, und Grau stapelte sie weiter hinten zu einem neuen Haufen. Die
Drähte verschwanden in der Tiefe des Stalls.
Die beiden Männer bewegten sich auf die Leiter zu und
kletterten geräuschlos hinunter. Die Drähte endeten in einem kleinen schwarzen
Kasten, an dem ein rotes Licht aufblinkte.
»Scheiße«, fluchte Milan. »Kann nicht von Nase sein.«
»Wieso nicht?«
»Sie sagen, Nase macht Kokain und nimmt Kokain. Es ist
sein Haus. Niemand legt so etwas in sein eigenes Haus. Es ist ganz neu und
funktioniert durch Funk, ganz einfach, verstehst du. Keine Uhr, man kann keine
Zeit ablesen.«
»Was heißt denn das im Klartext, verdammt noch mal?«
»Jemand ist draußen und wartet. Wenn er lange genug
gewartet hat, drückt er auf den Knopf.«
»Wieso wartet er? Auf was?«
»Vielleicht wartet er, bis Meike raus ist. Meike darf
nicht hochgehen. Vielleicht hat er nicht mit Meike gerechnet. Vielleicht ist es
Sundern, vielleicht Rache für Meike.«
»Wir können den Mann nicht finden. Nicht bei dem Wetter.
Wir müssen sie rausholen und wir müssen es jetzt tun.« Grau sprach stockend.
Milan schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Wir müssen erst
raus und den Mann finden.«
Grau kniff die Lippen zusammen. »Das ist nicht Sundern,
das kann unmöglich Sundern sein. Vielleicht ist es einfach eine Alarmanlage?«
Grau hatte nicht die geringste Ahnung von Technik, aber diese Variante schien
selbst dem kritischen Milan einzuleuchten. Er lenkte ein: »Schauen wir einfach
mal nach. Wenn jemand draußen ist und den Knopf drücken will, hat er uns
sowieso schon gesehen. Also schauen wir nach.«
Wieder ging es die Leiter hoch, mittlerweile hatte Grau
das erhebende Gefühl, wie ein Wiesel auf den Sprossen zu turnen. Wieder an der
Tür angelangt, schob Milan vorsichtig die Riegel zurück, und sie quietschten
nicht. Dahinter war es stockdunkel. Sie befanden sich auf Höhe des ersten Stockwerks.
Irgendwo dudelte ein Radio, ein Mann sagte: »Bringt der
Frau doch mal ein Bier«, ein anderer widersprach: »Kein Bier. Sie trinkt kein
Bier. Sie trinkt Kaffee oder Sekt.« Eine jüngere Stimme mischte sich ein: »Es
wäre schön, wenn wir ihr was zwischen die Beine tun könnten.«
Milan schaltete die Taschenlampe ein und der Strahl tastete
sich einen Flur entlang bis zu einer Tür, etwa sechs Meter von ihnen entfernt,
durch die matter Lichtschein drang. Davor konnte man noch rechts und links zwei
weitere Türen erkennen.
Die beiden Drähte schlängelten sich an der rechten Wand
entlang und verschwanden hinter einer Tür. Milan leuchtete den Flur ab. Rechts
vor der Tür hing ein Bild an der Wand. Ein scheußlich kitschiger Jesus betete
unter einem Heiligenschein den von schwarzen Wolken verhangenen Mond an.
Milan drehte sich zu Grau um und machte mit der
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