Kurier
abzeichnete. Aber das bildete er sich wohl nur ein,
wahrscheinlich saß Milan diesem Unbekannten längst im Nacken.
Was ist, wenn er ihn tötet? Nein, das wird er nicht tun.
Er weiß, dass wir aus dem Mann noch alles rausquetschen müssen. Er wird ihn
nicht töten!
Grau behielt hinter sich das Haus im Auge und machte
vorsichtig Schritt für Schritt, dann stand er endlich vor dem Busch.
»Es ist eine Frau«, sagte Milan leise und heiter.
»Eine Frau? Wirklich?«
»Was ich hier im Schwitzkasten habe, ist eine Frau«, betonte
Milan.
»Hast du den … wie heißt doch dieses Ding noch gleich?«
Grau war erstaunt, wie gemütlich die ganze Szene auf ihn wirkte. Mit Milan
waren diese Dinge ungeheuer leicht. »Ach ja, den Knopf, auf den sie drücken muss?«
»Nein, noch nicht. Sie liegt hier einfach, sie schläft,
sie hat eine Waffe, zwei Waffen, sie hat, warte mal, hier ist … Grau, verdammt noch
mal, geh doch mal da weg, sie sehen dich sofort, wenn sie ans Fenster gehen.
Sie hat, also hier ist … Oh, Scheiße, Grau!« Die letzten Worte schrie er.
Grau drehte sich blitzschnell um. Eine furchtbare Sekunde
lang schien die Welt stillzustehen, dann klappte das Dach des Hauses hoch. Die
erste berstende Detonation schien an der Grenze zur Scheune hochzugehen. Das
Verrückte war, dass es in den Bruchteilen dieser ersten Sekunde nachtschwarz
blieb. Dann blitzte es grell, das Dach senkte sich, um sofort darauf wieder
hochzuklappen, als öffnete ein Riese eine Pappschachtel. Danach schoss eine
grelle Flammenzunge hoch in den nassen Himmel, die nächste Detonation folgte,
dann noch eine.
»Milan!«, schrie Grau mit sich überschlagender Stimme.
»Meike!« Das Haus war sofort eine brennende Hölle, nur im vorderen Teil war es
noch dunkel. Ein Mensch schrie wie verrückt im Diskant, es klang wie »Mama!«.
Grau lief sofort auf die Haustür zu. Es war eine dunkelgrün
lackierte Tür mit Butzenscheiben und vielen Messingbeschlägen. Sie war
garantiert verschlossen. Er drehte sich in vollem Lauf nach vorn und rammte
seine rechte Schulter gegen die Tür. Sie hielt stand. Grau atmete pfeifend aus,
der Schmerz stach bis in seine Hüfte.
Über ihm detonierten Fenster, barsten und knallten in
Einzelteilen herunter auf die uralten Katzenkopfsteine, mit denen der
Eingangsbereich gepflastert war. Ein Stück Fensterrahmen schlug auf seine linke
Schulter, aber er spürte keinen Schmerz. Er starrte verblüfft hoch,
Glassplitter regneten auf ihn herab. Jemand schrie erneut hoch und grell
»Mama!«, dann kam ein flammendes Bündel angeflogen, ein Mensch, der brannte.
»Mein Gott, nein!«, schrie Grau. Er sah aus den Augenwinkeln,
wie Milan rechts von ihm vorbeiflitzte und in einer schier wahnwitzig
gleitenden Bewegung mit einer Hechtrolle durch das neben der Eingangstür
liegende, geschlossene Fenster flog und dahinter verschwand.
Der Verletzte schrie und wälzte sich auf den nassen Steinen.
Grau wollte unbedingt, dass er aufhörte zu schreien und zu sterben. Er warf
sich neben den Körper und versuchte, mit bloßen Händen die Flammen zu
ersticken. Er sah in ein von Schmerzen verzerrtes Gesicht.
Grau hatte den Bruchteil einer Sekunde lang die Idee, er müsste
das Gesicht zum Schweigen bringen. Dann schwieg es von selbst und die Welt war
für einen Moment schrecklich still. Das Gesicht war tiefschwarz verkohlt und
blutrot verbrannt, Grau hätte nicht sagen können, ob es ein junges Gesicht war
oder ein altes.
»Nein, nein, nein!«, schluchzte und keuchte er. Dann hörte
er Milan im Innern des Hauses seinen Namen brüllen. Er richtete sich mechanisch
wieder auf und trat mit dem Fuß die Scheiben der Tür ein. Dann fasste er durch
die gezackten Scherben und klinkte die Tür auf. Einen Augenblick lang war es
merkwürdig still, dann hörte Grau einen anderen Mann schreien und er sah das
Feuer auf den obersten Stufen der Treppe lodern.
Rechts von ihm kam Milan aus einer Tür geschossen und
schrie merkwürdig sachlich: »Das überlebt keiner!«
Grau erreichte die Treppe und rannte hinauf. Das Erste,
was er sah, war der Himmel, das Dach war verschwunden. Überall um ihn herum
schlugen Flammen empor.
Milan stieß ihn vorwärts. »Sie muss links sein!«, rief
er. »Geh nach links!«
Grau umging einen kleinen Flammenherd und stand vor einer
verschlossenen Tür. Er trat gegen das Schloss und die Tür sprang auf. Er sah in
den Himmel, er merkte, wie der Regen sehr dünn und schräg in das Zimmer fiel.
An der rechten Wand
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