Kurier
werden es herausfinden.«
Plötzlich sagte Milan hastig: »Mehmet kommt mit Gonzales,
dem Fahrer.« Er glitt sehr schnell zur Tür und dann hinaus. Geronimo hatte
schon die Waffe in der Hand. Sie waren nicht aufgeregt, nur gespannt wie zwei
sehr gute, aufmerksame Soldaten.
Mehmet öffnete vorsichtig die Tür. »Ich bin allein«,
sagte er. Er wandte sich zu Gonzales um und sagte irgendetwas. Dann schloss er
die Tür hinter sich und kam auf Grau und Sundern zu, nahm sich vom Nebentisch
einen Stuhl und setzte sich. Er trug eine schmale Ledermappe, und sein Gesicht
war ruhig, aber grau.
Er sagte: »Ein Bote hat das hier gebracht, ein Junge, gab
es ab und verschwand sofort.« Er seufzte, öffnete den Reißverschluss der Mappe
und förderte ein braunes DIN-A4-Kuvert zutage. Er klappte es auf und zog ein
paar Fotos heraus. Ehe er sie zeigte, sah er prüfend kurz nach rechts und
links. Dann legte er die Bilder auf die Tassen und Gläser und fragte: »Wer ist
das?«
Die Aufnahmen zeigten einen nackten Mann, der sehr
aufrecht auf einem Stuhl saß. Grau dachte anfangs, sie wären in Schwarz-Weiß,
aber dann begriff er, dass es Farbfotos waren, aufgenommen vor dem Hintergrund
eines sanft blauen Tuches. Der Mann war tot, sein Kopf lag merkwürdig schief
zur Seite, die blonden Haare hingen wie ein Vorhang vor seiner Stirn, die Haut
war graublau. Er war mit einer dünnen Schnur auf dem Stuhl festgebunden.
»Es ist Steeben«, sagte Grau heiser. »Das ist Steeben!«
Sundern nickte. »Sieh mal, sie haben ihm die Eier und den
Schwanz abgeschnitten und in den Mund gestopft. Das ist ja ekelhaft.«
Grau fürchtete, dass ihm schlecht werden würde, aber
merkwürdigerweise verhalf ihm die Sachlichkeit der Fotos zu einer nie gekannten
Kühle. »Wieso denn diese Sachen im Mund. Mein Gott …«
»Er hat geredet, das Steeben-Schwein«, sagte Sundern.
»Das ist das uralte Zeichen, dass einer geredet hat. Omertà, das absolute
Schweigegebot der Mafia. Er hat es gebrochen.«
Vaya con Dios
»Sie sind ein Pressemensch, Sie müssen Ahnung davon haben.
Sind die Fotos getürkt?«, fragte Sundern in höchster Erregung.
»Nein. Wozu sollte man das stellen, wenn die Botschaft
eindeutig ist? Steeben ist tot! Hingerichtet! Nein, nein, die Fotos sind sauber.
Ich frage mich nur, was dieser Hintergrund bedeuten soll. Ein hellblaues Tuch,
ein Betttuch? Ein großes Tischtuch? Was ist das?«
»Betttuch, Tischtuch, kann alles sein«, sagte Mehmet.
»Kanntest du den Boten wirklich nicht?« Sundern schielte
wieder, diesmal in Mehmets Richtung.
»Nein, noch nie gesehen. Irgendein Junge. Du weißt doch,
in Kreuzberg laufen von der Sorte Tausende rum. Sie bringen dir irgendetwas, du
gibst ihnen einen Zehner und sie sind wieder verschwunden.«
»Die Fotos haben alle dasselbe Motiv: den toten Steeben,
nur der Winkel ist jeweils leicht verändert. Ihr habt mich von einem Arzt
behandeln lassen. Wir müssen den Arzt fragen, wie lange der Mann tot ist. Geht
das?« Grau zwang sich zur Sachlichkeit.
Mehmet nickte. »Sicher. He, Geronimo, nimm ein Taxi, fahr
zu Üzi. Egal, wo er gerade steckt. Frag nur, wie lange der Mann auf dem Foto
schon tot ist.«
»Milan«, sagte Grau, »komm mal her! Sieh dir das an. Das
ist der Mann, den wir die ganze Zeit suchen. Er ist grau und blau und an
manchen Stellen grün. Du hast … du hast doch viele Tote gesehen. Was meinst du:
Wie lange ist er schon tot?«
Milan nahm eines der Fotos und ging zum Fenster. »Der
wurde gekühlt. Ich bin sicher. Wir hatten das manchmal im Winter. Sie … na ja,
sie stinken nicht, sie liegen einfach kalt. Keine Verwesung. Die Augen sehen
genauso aus. Ja, gekühlt.«
»Verdammt, verdammt«, sagte Sundern und schlug auf die
Tischplatte. »Was machen wir jetzt?«
Grau war erstaunt. Keine Spur von dem, was so nebulös als
›Organisierte Kriminalität‹ kolportiert wurde, kam hier vor: kein
Generalstabsjargon, kein zackiger Managementton. Nichts als Unsicherheit bei
Sundern. Er selbst war auch nervös und spürte die Furcht wie einen kleinen
kalten Ball im Bauch.
»Warum wollen Sie denn überhaupt etwas unternehmen? Gegen
wen? Wofür?«
Sundern sah ihn wütend an. »Grau, bis jetzt war das ein
reiner Spaziergang. Nun schickt uns jemand diese Fotos. Steeben ist tot. Okay,
er war nur der Bote. Aber zehn Millionen Dollar und das Kokain sind immer noch
hier. Wissen Sie, was das heißt? Wir werden Besuch kriegen. Nicht nur von
Leuten, die gerne koksen, sondern auch von Leuten,
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