Kurier
erste war Schlagzeuger in einer Rockband. Sie lernte ihn kurz vor dem
Abitur kennen, schmiss die Schule und ging mit der Gruppe auf Tour. Sie hatte übrigens
mit dem Jungen ein Kind. Wusstest du, dass sie ein Kind hat, Grau?«
»Wusste ich nicht«, sagte Grau heiser.
»Ist auch egal. Sie hatte es nämlich zur Adoption freigegeben.
Anschließend wollte sie mit dem Jungen, dem Schlagzeuger, nichts mehr zu tun haben.
Sie kam zu mir und bat mich um einen Job. Du kennst sie ja, du weißt, wie sie
aussieht. Wenn sie will, bringt sie sogar den Papst dazu, eimerweise Cognac zu
saufen.
Bald habe ich geschnallt, wie gut sie ist. Clever ist sie
auch. Also zog ich sie systematisch ran. Geschäftsführerin hier,
Geschäftsführerin da. Dann nahm ich sie auch ins Büro auf. Sie war schnell,
gewandt, und sie war witzig. Vor allem immer gut drauf. Ihr Nachteil besteht
darin, dass sie eine Abenteurerin ist. Sie ist niemals zufrieden mit dem, was
sie gerade hat. Sie will immer etwas Neues, und wenn sie in A ist, will sie
garantiert nach B.
Ich war am Anfang so naiv und dachte, sie will Geld. Also
gab ich es ihr. So viel sie wollte. Aber Geld wollte sie gar nicht. Sie wollte
Menschen, Grau, unentwegt neue Menschen. Ich bot ihr an, sie zu heiraten, sie
in die Leitung meines Unternehmens zu holen. Sie akzeptierte, und ich war
glücklich, denn sie ist wirklich top, zuverlässig und absolut charmant.
Aber dieses Nachtleben wollte sie auch nicht auf Dauer.
Unsere Ehe war sowieso nur so eine Art Schnupperkurs. Was sollten wir bei dem
Leben in einer Ehe? Dann kam Ernesto. Er war ein junger Grieche, der wohl einen
Sprung in der Schüssel hatte. Sein Vater wollte ihm hier einen griechischen Imbiss
einrichten, aber der Junge wollte partout kein Gyros braten. Er hatte es mit
Seelenwanderung und er umarmte leidenschaftlich gerne fremde Menschen.
Anfangs dachte ich, der klaut denen dabei die Brieftasche,
aber dann merkte ich, dass er sie wirklich nur umarmen wollte. Er sagte: ›Das
gibt mir Kraft!‹ So einer war der Richtige für Meike, der war ihr Jesus, also
zog sie mit ihm durch Berlin. Bis er einen Nervenzusammenbruch bekam, weil
seine Umarmungen nicht mehr so toll ankamen. Also habe ich den Jungen in mindestens
zwanzig Restaurants und Kneipen ausgelöst, ihm ein Bett bei den Irren besorgt,
und Meike hatte ihre Ruhe.
Dann kam die Nuckelpinne, der absolute Aufreißer.«
Sundern lachte und schlug sich auf die Knie. »Du kannst dir das nicht
vorstellen, Grau. Der Mann fuhr einen Austin Mini. Er fuhr überhaupt nur Minis,
denn das waren die einzigen Autos, von denen er etwas verstand. Er träumte davon,
einmal über den Nürburgring zu rasen.
Was macht meine Meike? Geht zu Sundern und bittet um ein
Kleindarlehen. Sie will der Nuckelpinne den Nürburgring reservieren. Wir hatten
uns längst wieder scheiden lassen. Sie verschwand also mit der Nuckelpinne in
einem uralten Wohnwagen. Weg war sie. Vier Wochen, sechs Wochen, acht Wochen.
Ich wurde langsam verrückt. Dann kam das Telegramm. Nur drei Worte: ›Hol mich
ab!‹
Also, ich zum Nürburgring. Kennst du die Eifel? Am Arsch
der Welt, Grau. Sicher, schöne Natur, aber wo sind die Eingeborenen?
Totenstille. Ich fand sie dann in einem deutschen Hochwald. Sie hausten in
einem Wohnwagen, der nicht mal wetterfest war. Tagsüber verkaufte er in Adenau
Hamburger und abends drehte er eine Runde auf dem Ring in seinem Mini.
Was macht Sundern? Er löst das Pärchen aus, nimmt Meike
und fährt zurück nach Berlin. Irgendwann kam dann Steeben und wurde von ihr zum
neuen Leithammel erkoren. Ich habe sie gewarnt, Grau. Es hatte keinen Sinn.«
»Vielleicht lässt du sie nicht los?«
»Natürlich lasse ich sie los. Aber ich muss sie immer aus
irgendeinem Schlamassel rausholen. Ich weiß, sie will es ohne mich schaffen,
nur, so, wie sie es versucht, klappt das nie!«
»Hat sie Eltern?«
»Darauf darfst du sie niemals ansprechen. Ihre Mutter war
zeitlebens eine hysterische Frau. Der Vater hat sie übel behandelt. Konnte auch
nicht übersehen, dass seine Tochter so verdammt schön ist. Du verstehst schon.«
»Ich verstehe. Sie hatte also ernsthaft vor, mit Steeben
zusammen ein Geschäft anzufangen?«
»Sagte sie jedenfalls. Ich weiß nicht, ob das gutgegangen
wäre. Ich fürchte: eher nicht. Auf jeden Fall habe ich mich vollkommen
herausgehalten. Schnappte nur ein paar ihrer verrückten Bemerkungen auf, das
hat schon gereicht.«
»Was befürchtest du jetzt, Sundern?«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher