Kurs auf Spaniens Kueste
nach, in der die Befehlsgewalt nun vom einen auf den anderen überging (oder vielleicht übergehen würde, denn bisher war es zwischen ihnen noch nie zu einem Autoritätskonflikt gekommen).
Sowie Stephen Maturin dank ihrer ersten Prise zu Wohlstand gelangt war, hatte er sich einen großen Vorrat an Teufelsdreck, Bibergeil und anderen widerlichen Substanzen zugelegt, die seine Arzneien in Geruch und Beschaffenheit abstoßender machten als alle anderen seiner Kollegen in der Flotte. Und er fand sich bald darin bestätigt: Seine abgehärteten Patienten schworen seither aus tiefster Überzeugung, daß sie optimal verarztet wurden.
»Dem Kommandanten machen seine Wunden zu schaffen«, sagte er beim Essen. »Deshalb wird er die Einladung der Offiziersmesse für morgen nicht wahrnehmen können. Ich habe ihn zu seiner Kajüte und dünnem Gesöff verurteilt.«
»Ist er schwer verwundet worden?« fragte Mr. Dalziel beeindruckt. Mr. Dalziel war eine der Enttäuschungen von Malta. Jedermann an Bord hatte gehofft, daß Thomas Pullings zum Leutnant befördert werden würde, aber der Admiral hatte ihnen einen eigenen Favoriten geschickt, seinen Vetter Mr. Dalziel von Auchterbothie und Sodds. Mit einer privaten Notiz hatte er diesen Schlag zu mildern versucht, indem er versprach, »an Mr. Pullings zu denken und ihn bei der Admiralität lobend zu erwähnen«. Aber da war nun nichts mehr zu machen — Pullings blieb Mastersgehilfe: der erste Schatten, der auf ihren Sieg fiel. Mr. Dalziel bekam das zu spüren und benahm sich deshalb besonders zuvorkommend ihm gegenüber. Das hätte er allerdings nicht nötig gehabt, denn Pullings war der bescheidenste Mann unter der Sonne und fast peinlich schüchtern, außer auf dem Deck eines Feindes.
»Ja«, antwortete Stephen, »das ist er. Er hat Säbel-, Schuß- und Pikenwunden davongetragen. Und als ich in der tiefsten Wunde sondierte, fand ich noch ein Stück Metall, eine Musketenkugel von der Schlacht bei Abukir.«
»Das würde jedem Mann zu schaffen machen.« Mr. Dalziel hatte, allerdings ohne eigenes Verschulden, noch kein Blutvergießen erlebt und litt sehr unter diesem Manko.
»Ich spreche als Laie, Doktor«, mischte sich der Master ein, »aber brechen Wunden nicht wieder auf, wenn man sich grämt? Es muß ihn doch furchtbar ärgern, daß wir unser Einsatzgebiet noch immer nicht erreicht haben, obwohl die Jahreszeit schon so weit fortgeschritten ist.«
»Aye, das stimmt«, sagte Stephen. Jack hatte guten Grund für seinen Gram, genau wie jeder andere an Bord: Es war eine Schikane, sie bis nach Malta zu schicken, obwohl sie doch ein Recht auf ihren Beutezug in den vielversprechenden westlichen Gewässern besaßen. Und was alles noch schlimmer machte, war das hartnäckige Gerücht über eine Silbergaleone, die vom Schicksal und von Jacks Spionen angeblich für die Sophie vorherbestimmt war — eine oder auch mehrere Galeonen, vielleicht sogar ein ganzes Geschwader von Galeonen, die sich just in dieser Minute vollbeladen an der spanischen Küste nach Norden quälen mochten, während die Sophie fünfhundert Meilen weit entfernt war.
Mit Ungeduld fieberten sie ihrem Einsatz entgegen, den siebenunddreißig Tagen, die ihnen noch zustanden, siebenunddreißig Tage, um ihr Glück zu machen. Denn obwohl viele an Bord inzwischen mehr Guineen besaßen, als sie an Land jemals Shillinge ihr eigen genannt hatten, gab es keinen einzigen, den es nicht brennend nach mehr verlangt hätte. Übereinstimmend hatte man sich ausgerechnet, daß der Anteil eines gewöhnlichen Matrosen an die fünfzig Pfund betragen würde; selbst Männern, die im Gefecht geblutet hatten, die zusammengehauen, versengt und beschossen worden waren, schien das ein guter Lohn für die Arbeit eines Vormittags zu sein — weitaus besser als der Shilling pro Tag, den sie an Land vielleicht hinter dem Pflug oder dem Webstuhl verdienen konnten, besser sogar als die acht Pfund pro Monat, die angeblich hart bedrängte Handelsschiffskapitäne zahlten.
Gemeinsam bestandene, erfolgreiche Gefechte, eiserne Disziplin und ein hohes Maß an Kompetenz (abgesehen vom irren Willy, Sophies Bordnarren, und einigen wenigen hoffnungslosen Fällen, konnte inzwischen jeder Mann und Junge an Bord steuern und die Segel bedienen) hatten sie zu einer ausgesprochen homogenen Besatzung zusammengeschweißt, die das Schiff und sein Verhalten bis ins kleinste kannte. Das erwies sich auch als nötig, denn ihr neuer Erster war nicht sonderlich firm in
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