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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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war, stockbesoffen. Er ist so höllisch stark, ihr Rum. Ich hab einfach nicht damit gerechnet, daß sie mich fix und fertig machen. Obwohl auch die Leute in Carborough und drumherum nichts von mir wissen wollen.«
    In diesem Augenblick kam das Signal zum Backen und Banken, und das Logis, der lange Raum hinter der Persenning, die Stephen als Sichtschutz fürs Krankenrevier hatte aufriggen lassen, füllte sich mit dem Tumult hungriger Männer. Immerhin war es ein geordneter Tumult: jede Backschaft aus acht Mann stürzte an den ihr zugewiesenen Platz, die an der Decke hängenden Tische und Bänke wurden herabgelassen, Holzschüsseln mit gepökeltem Schweinefleisch (ein Zeichen dafür, daß Donnerstag war, der Seemanns-Sonntag) und Erbspüree kamen aus der Pantry; und schließlich wurde der Grog, den Mr. Pullings soeben draußen am Wasserfaß beim Großmast gemixt hatte, andächtig herbeigetragen, wobei jedermann hastig aus dem Weg glitt, damit auch ja kein Tropfen verschüttet wurde.
    Zuvorkommend wichen die Leute vor Stephen zurück, öffneten ihm eine Gasse, so daß er durch ein Spalier freundlicher Gesichter und strahlender Augen schritt. Er registrierte, daß einige der sechs, deren Rücken er morgens mit Öl eingerieben hatte, schon wieder bemerkenswert guter Laune waren, besonders der Neger Edwards, dessen weißes Gebiß breit aus dem Zwielicht grinste. Aufmerksame Hände schoben eine Bank vor ihm zur Seite, und ein Schiffsjunge wurde grob um seine Achse gewirbelt und angefahren, daß er dem Doktor nicht den Rücken zuzuwenden hätte, was seien das für Manieren! Alles freundliche Kerls, mit lauter gutmütigen Gesichtern ... Und doch brachten sie Cheslin langsam um.
    »Ich habe einen ungewöhnlichen Fall im Krankenrevier«, sagte Stephen zu James, als sie in der Messe saßen und ihren Labskaus mit Hilfe eines Glases Portwein verdauten. »Er stirbt an Entkräftung. Oder wird bald sterben, wenn ich seine Lebensgeister nicht wieder wecken kann.«
    »Wer ist es?«
    »Cheslin. Der mit der Hasenscharte.«
    »Ich kenne ihn. Sein Platz ist in der Kuhl — bei der Steuerbordwache. Zu nichts nütze, der Kerl.«
    »Ach? Und doch war er seinerzeit von ganz speziellem Nutzen für seine Mitmenschen.«
    »Inwiefern?«
    »Er war ein Sündenfresser.«
    »Herrje!«
    »Sie haben Ihren Port verschüttet.«
    »Erzählen Sie mir mehr über ihn«, bat James, die Weinflecken wegwischend.
    »Tja, es war ganz ähnlich wie in Irland. Wenn jemand starb, wurde nach Cheslin geschickt. Man legte ein Stück Brot auf die Brust des Verstorbenen, das aß Cheslin auf und nahm damit die Sünden des Toten auf sich. Dann drückte man ihm ein Silberstück in die Hand und jagte ihn aus dem Haus, bespuckte ihn und bewarf ihn mit Steinen, wenn er davonrannte.«
    »Und ich dachte, dieser Brauch existiert heutzutage nur noch als Gerücht.«
    »Nein, leider nicht. Er ist immer noch ziemlich verbreitet, man spricht nur nicht darüber. Und Seeleute verabscheuen einen Sündenbock anscheinend noch viel vehementer, als die Bevölkerung an Land es tut. Cheslin hat sich dazu bekannt, und sofort haben sich alle gegen ihn gewandt. Seine Backschaft hat ihn ausgestoßen. Niemand will mehr mit ihm sprechen, niemand läßt ihn in seiner Nähe essen oder schlafen. Physisch fehlt ihm nichts, und trotzdem wird er binnen einer Woche sterben, falls ich nichts unternehme.«
    »Lassen Sie ihn an der Gangway festbinden und ihm hundert Hiebe verpassen, Doktor«, rief der Zahlmeister aus seiner Kammer, wo er Rechnungen addiert hatte. »Als ich zwischen den Kriegen auf einem Sklavenschiff gefahren bin, hatten wir manchmal so eine Sorte Neger an Bord, Whydaws oder Whydoos nannten wir sie, die starben gleich dutzendweise in der Middle Passage, bloß aus Verzweiflung darüber, daß sie ihre Heimat und ihre Freunde verlassen mußten. Wir konnten viele davon retten, indem wir ihnen jeden Morgen die Pferdepeitsche zu schmecken gaben. Aber es wäre keine Wohltat für niemand, wenn Sie diesen Wurm retten, Doktor. Am Ende werden ihn die Leute doch nur ersticken, erdrosseln oder über Bord werfen. Sie finden sich ja mit allem möglichen ab, diese Matrosen, aber nicht mit einem Jonas. Das ist wie bei Vier weißen Krähe — die anderen picken sie tot. Oder mit ’nem Albatros. Wenn Sie einen Albatros fangen — mit ’ner Angelleine ist das einfach — und ihm ein rotes Kreuz auf die Brust malen, dann reißen ihn die anderen Albatrosse in Stücke, bevor das Stundenglas umgedreht ist. Unten am

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