Kurs Minosmond
Computerausdrucke, „guck dir das hier an, ich habe die Leserbriefe und alle andere verfügbare Information über Sekten in unserer Region analysiert, die Ergebnisse – na, lies mal!“
Sie brauchte eine Viertelstunde, dann blickte sie wieder auf.
„Zweitens hast du hier einen genauen Ablauf der Katastrophe“, sagte Wenzel und reichte ihr noch ein Blatt.
„Ja“, sagte sie und überflog es, „das ist im wesentlichen alles bekannt.“
„Na gut“, sagte Wenzel, „was hältst du nun von folgendem Gedankengang.“ Er stand auf und trat zum Fenster, von dem aus man einen schönen Ausblick auf rekonstruierte historische fünf- und vierstöckige Häuser hatte. Er brauchte Sammlung, und nach einem längeren Blick über die Dächer fühlte er sich bereit. „Sektenangehörige sind Argumenten gegen ihren Irrglauben nicht zugänglich. Solche Argumente, sie mögen noch so gut und richtig und fundiert sein, erreichen sie nicht. Das ist bekannt. Sie sind aber positiven Argumenten gegenüber nicht ganz so unzugänglich, wie meine Verhandlung mit dem einen wegen des EEG zeigt. Das ist ein Anknüpfungspunkt.
Ich habe überlegt, ob man Ordner speziell ausbilden und in die Sekten schicken soll, die nur dann aktiv werden, wenn es gefährlich wird. Das ist aber nicht nur unmoralisch, sie müßten ja heucheln und die Sektenmitglieder belügen und hintergehen, vor allem funktioniert es praktisch nicht. Die Sekten sind Sympathiegemeinschaften. In ihnen kann also nur mittun, wer die Sympathie der anderen hat. Wenn er in der wesentlichen Frage anderer Meinung ist, werden sie als Sympathiegemeinschaft das unfehlbar spüren. Wenn er aber selbst dem Irrglauben anhängt, kann er nicht mehr wirksam werden. Das geht also nicht.
Ich denke mir, jede Sekte sollte einen wissenschaftlichen Berater bekommen. Der müßte durchaus draußen bleiben, und er soll auch nicht lügen, er soll ehrlich sagen: Ich glaube nicht daran, aber mal angenommen, ihr hättet recht und ich unrecht, dann müßte folgendes eintreten… Also den Irrglauben als Hypothese bejahen und daraus überprüfbare Schlußfolgerungen ableiten. Und vielleicht sogar aus der Sekte ein produktives Kollektiv machen, aber das wäre der Idealfall.
Diese Idee zu prüfen, ob sie als Konzeption tauglich ist, wollte ich dich bitten.“
„Ich bin interessiert“, sagte Klara Mannschatz, „besser gesagt, ich brenne darauf. Wie stellst du dir das weiter vor?“
„Danke, Klarissima“, antwortete Wenzel, „damit sagst du ja, daß du die Idee akzeptabel findest. Ich denke, wir suchen ein Dutzend Sekten auf verschiedenen Sachgebieten aus und vermitteln sie an entsprechende wissenschaftliche Gruppen oder Institute. Die müssen natürlich dafür einen Dienststundenfonds kriegen, das kann ich von der Region aus regeln, zumindest in diesem Versuchsstadium. Später müssen die lokalen Ratgeber vermitteln.
Ich denke mir, es wird erst einmal alles davon abhängen, daß die richtigen Leute dafür gefunden werden. Aber wer die richtigen Leute sind, welche Eigenschaften sie haben müssen, das wissen wir noch nicht, das muß deine Untersuchung herausfinden. Übernimmst du das?“
„Ja, ich übernehme das, meine Kollegen werden nichts dagegen haben, ich müßte jetzt sowieso mein Thema wechseln. Aber du solltest mir wenigstens die ersten zwei Wochen noch zur Verfügung stehen. Erreichbar sein. Zeit haben. Mit mir zusammen knobeln können.“
„Sehe ich ein“, sagte Wenzel. Die Freude, diese Sache auf den richtigen Weg gebracht zu haben, war größer als das Bedauern, daß er seinen Besuch in Sternenstadt hinausschieben mußte. Zum erstenmal seit der Katastrophe fühlte er sich etwas erleichtert.
„Wie geht es dem Mädchen?“ erkundigte sich Klara.
„Pauline? Sie hatte den Arm angebrochen, jetzt macht sie auf Selbstheiler, es scheint zu wirken.“
„Interessant. Besuchen wir sie?“
„Besuchen? Ja, gut! Ich war heute noch nicht da.“ Pauline freute sich über den Besuch, und Wenzel, der sie jeden Tag gesehen hatte, staunte darüber, daß sie keine Schiene mehr trug.
„Morgen bin ich fertig“, erklärte sie. „Ich bin ein guter Selbstheiler“, fügte sie stolz hinzu.
Wenzel berichtete von der getroffenen Übereinkunft, und dann fragte Klara nach Einzelheiten des Selbstheilens. Sie gestand, daß sie diese Heilmethode bisher nicht für voll genommen habe.
Es war auch für Wenzel nicht uninteressant, was Pauline erzählte. Er selbst hätte nicht danach gefragt, wenigstens in der
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