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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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zufügen. Diese Tasche kenn ich auch, die auch – aber was ist das hier?“ Sie öffnete eine Art Werkzeugtasche, sie enthielt einen Satz verschieden großer Röhrchen, die sich aber anscheinend nicht herausnehmen ließen. „Das ist neu, das kenne ich nicht. Keine Ahnung, ob das zu Stall, Feinmechanik oder Glas gehört.“
    „Wir werden fragen“, sagte Wenzel und ließ sich die Tasche geben.
    Sibylle Mohr stöberte in Kühlschrank, Kästen und Schiebern herum, sagte aber nichts. Wenzel stellte nebenbei fest, daß normale Vorräte im Haushalt waren – immerhin nicht unwichtig für die Untersuchung.
    „Hier ist nichts, kommen Sie.“ Die Physikerin ging in die Diele zurück und die Treppe hinauf. Die Wohnräume boten ebenfalls nichts Bemerkenswertes, und so beobachtete Wenzel die Frau aufmerksamer als die einzelnen Räume, die er ja schon mal besichtigt hatte. Das Wiedersehen mit ihrem früheren Lebenskreis unter so unglückseligen Umständen – das mußte auch die sehr beherrschte Wissenschaftlerin belasten. Wenzel fühlte jetzt schon diese Belastung mit, er brauchte auch sonst nicht viel Zeit, um sich in einen andern einzufühlen und der Atmung, den Stimmnuancen, den winzigen Verschiebungen im Bewegungsrhythmus, der Über- oder Unterbetonung in Mimik und Gestik Wichtiges über den Zustand des anderen zu entnehmen – das brachte seine Magierkunst mit sich.
    In diesem Fall spürte Wenzel deutlich, wie die Erregung der Frau sich steigerte, als sie die feinmechanische Werkstatt betraten. Das erschien ihm aber ganz erklärlich: Hatten die beiden doch dasselbe Handwerk ausgeübt; wie ja überhaupt meist Eheleute einen der drei menschlichen Tätigkeitsbereiche gemeinsam haben. Es erschien ihm hilfreich, die Frau abzulenken.
    „Von hier stammt diese Werkzeugtasche wohl nicht?“ fragte er. „Ich meine, sonst würden Sie doch wenigstens ihre Bestimmung kennen.“
    „Da haben Sie recht“, sagte sie nachdenklich. „Gehen wir runter in den Keller. In das Glasatelier.“
    „Weiter oben ist nichts?“
    „Der Dachboden – wenn Sie wollen?“ Sie stiegen die Bodentreppe hinauf, Sibylle Mohr öffnete die Tür. Wenzel stand hinter ihr, zwei Stufen tiefer, konnte nichts sehen, aber da mußte etwas sein, er merkte es an ihrer Atmung, etwas Schlimmes, dessen Bedeutung sie aber nicht sofort erfaßt hatte; es hatte sie zuerst verwundert und dann erschreckt.
    „Sehen Sie“, sagte sie leise und trat einen Schritt weiter, so daß Wenzel folgen konnte.
    Von der Decke hing eine Seilschlinge. Darunter stand ein Hocker.
    Da Wenzel vorbereitet gewesen war, gelang es ihm nun, ruhig zu bleiben. „Lassen Sie Ihre unruhigen Gedanken nicht wie die Fledermäuse umherflattern“, sagte er, „wir werden auch dafür eine Erklärung finden.“
    „Sie fühlen sich gut ein in andere Menschen“, stellte die Physikerin fest, als sie die Treppe hinunter in den Keller stiegen.
    „Ich hoffe“, sagte Wenzel bescheiden. Im Glasatelier, das Wenzel auch schon besichtigt hatte, herrschte wie in den anderen Räumlichkeiten eine Ordnung, die alles unbenutzt erscheinen ließ, wenigstens auf den ersten Blick.
    Sibylle Mohr aber ging gleich auf einen kleinen Induktionsofen zu, nahm einen Tiegel heraus und befühlte den erstarrten Glasfluß. „Noch warm“, sagte sie, „damit hat er heute morgen noch gearbeitet.“
    „War er ein Frühaufsteher?“
    „Nicht so sehr“, sagte die Physikerin, „heute muß er aber früh aufgestanden sein.“
    „Wohl weil er Sie erwartet hat. Dann könnte er also hier noch etwas fertiggemacht haben, was für Sie bestimmt war. Oder zu Ihrem Empfang?“
    „Das mag wohl sein“, sagte die Physikerin zerstreut, und Wenzel bemerkte, daß sie sich an irgend etwas zu erinnern suchte.
    Dann zog sie mit schnellen, nervösen Bewegungen ein, zwei Laden auf und entnahm der letzten eine offenbar mit Zeichnungen gefüllte Mappe, die sie auf den Arbeitstisch legte und aufschlug.
    Auch jetzt verlor die Frau nicht die Beherrschung, obwohl sie etwas sehen mußte, was sie noch mehr erschreckte als die Schlinge auf dem Boden. Sie hatte erst den Atem angehalten, holte jetzt stoßweise Luft und preßte die Arme an den Körper, als ob sie fröre.
    Wenzel trat an ihre Seite und hielt sie an den Armen fest. „Schon gut“, sagte er und wiederholte die sinnlose Bemerkung, während seine Augen die Zeilen auf dem Blatt entzifferten, das zuoberst in der Mappe gelegen hatte – es war ein Abschiedsbrief an die Frau. Doch Selbstmord? Aber wieso

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