Kurs Minosmond
helfen, wenn wir genauer wissen, was wir wollen. Stell dir vor, du suchst einen bestimmten Menschen, von dem du nur weißt, daß er Müller heißt, und sonst nichts. Der Computer würde dir alle Müller nennen, aber was hättest du davon? Fang lieber an zu erzählen!“
„Als erstes fällt mir ein Gedanke ein, den einer der Studenten mal geäußert hat, wahrscheinlich mehr aus Flachs: Wenn nun bei den Teilnehmern das Wissen um die Gefahr die Gefahr bereits beseitigt, läuft das ganze Experiment leer. Ich habe gesagt: Wie schön, wenn es so wäre, dann wäre die Rettung der Fünfzigjährigen eine reine Informationsfrage, aber so einfach wird’s wohl nicht sein.“
„Das glaube ich auch nicht“, stimmte Wenzel zu.
„Einige, vor allem Mädchen, waren betroffen, wieviel Unglück es dennoch gibt, ich versteh das, ich bin ja auch nicht viel älter, und wenn ich nicht als Ordner manches erfahren würde, hätte ich auch keine Vorstellung davon. Man lebt in Stabilität, und unwillkürlich glaubt man, das Glück müsse auch stabil sein. Dabei gibt es rund um uns alle Sorten von Unglück, berufliches, familiäres, charakterliches – es wird nur im allgemeinen Wohlbefinden bis zur Unsichtbarkeit aufgelöst. Freilich, wenn wir in die Geschichte zurückgehen, damit verglichen ist das fast nichts, aber ich glaube, wir empfinden unser Unglück genauso tief wie die Urahnen das ihre, auch wenn die objektive Größe nicht vergleichbar ist.“
„Bestimmt“, sagte Wenzel nachdenklich. Einen Augenblick lang erwog er, ob man nicht versuchen sollte, die Unglückserlebnisse der dreitausend Teilnehmer zu klassifizieren und statistisch zu untersuchen, doch dann ließ er den Gedanken fallen, für die Statistik war die Zahl der Fälle zu klein.
„Dann war da noch, hm, das ist eigentlich zu blöd, aber – also ein paar von den Helfern waren nicht nur deshalb begeistert von dieser Aufgabe, weil sie Menschen helfen und Neues entdecken konnten, sondern auch, weil es ihnen sonst langweilig war. Wie kann einem das Studium oder das Leben langweilig sein? Ich habe mich ziemlich darüber geärgert, hab aber nichts gesagt.“
„Langeweile“, sagte Wenzel, „junge Leute und Langeweile, merkwürdig, wir werden mal die Soziologen konsultieren, demnächst. Langeweile.“
„Laß mich auch mal was fragen, ja? Bist du denn schon auf solche – solche entscheidenden Zusammenhänge gestoßen?“
„Einer war der, der mich auf Klarissima treffen ließ. Aber der entscheidende steht noch aus, und es ist vielleicht gar nicht schlecht, daß es so ist.“
„Versteh ich nicht.“
„Kann sein, er springt mich an, wenn ich auf ihn stoße. Aber wahrscheinlicher scheint mir, daß er sich maskiert. Je länger wir uns mit der Sache befassen, je mehr Umfeld wir kennen, um so eher werden wir die Maske durchschauen, wenn wir auf ihn treffen. Deshalb sollten wir auch von Zeit zu Zeit alle alten Gedanken noch einmal vorkramen und unter die Lupe nehmen. Doch, ich glaube, wenn wir auf ihn stoßen, werden wir ihn auch erkennen.“ Wenzel nickte noch einmal, ließ dann die Nachdenklichkeit des Tons und der Haltung fallen, beugte sich vor und fragte: „Und du? Was hast du erlebt? Was ist dir neu vorgekommen?“
„Wenn ich ganz ehrlich sein soll – entschuldige, blöde Redensart, aber mir wird das selbst erst in diesem Moment klar: Eigentlich war mein Erleben zwiespältig. Handwerk und Kunst haben mir einerseits sehr gefehlt, einmal hab ich mir schnell ein Kleid genäht, da war ich richtig begeistert, obwohl es gar nichts Besonderes war. Aber andererseits hat diese Sache, dieses Langzeitexperiment, mich erfaßt wie noch nichts in meinem Leben, das saugt mich richtig auf, und jetzt, wo es losgeht, erst recht, ich glaube, ich werde in dem ganzen Jahr zu nichts anderem kommen!“
„Und nun mußt du dich davon trennen.“
„Was? Das kann doch nicht…, das geht doch nicht…“ Pauline war bestürzt.
Wenzel lächelte ihr mitfühlend und aufmunternd zu. „Fällt dir schwer, ja? Hast alles in die Sache gesteckt, was Kopf und Herz hergegeben haben, und nun – aus. Andere werden ernten, wo du gesät hast.“
„Muß das denn sein?“ Pauline bemühte sich zu lächeln.
„Mehr noch. So wird es jetzt immer sein. Wir werden etwas in die Wege leiten und es dann anderen überlassen. Fühlst du dich dem gewachsen?“
„Und was machen wir?“
„Suchen. Hier und da und dort. Für die nächsten Wochen haben wir ein volles Programm, und dann sehen wir weiter. Die
Weitere Kostenlose Bücher