Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
reden.« Er sah auf die Uhr. »Wenn wir den Zwölf-Uhr-Zug noch erwischen, sind wir in einer Stunde da.«
»Ist was passiert?«, fragte sie besorgt zurück. »Sag schon!«
Erik bejahte zögernd, dann sagte er entschlossen: »Du musst jetzt sehr tapfer sein, Corinna …«
M amma Carlotta hatte es für klüger gehalten, den Tatort zu verlassen, als sie mitbekam, dass Erik jeden Moment im Squashcenter eintreffen würde. Zunächst hatte sie sich zu den Mitgliedern der Bürgerinitiative gesellt, die in der Sportlerklause ausharrten, damit ihnen nichts entging. Einer von ihnen war immer auf dem Weg zu den Toilettenräumen oder zurück, weil auf diesem Stück des Ganges gelegentlich auch die Kriminalbeamten und Spurensicherer belauscht werden konnten. Doch als weitere Sensationen ausblieben, begnügten sich die Mitglieder von »Verraten und verkauft« schließlich damit, Jacqueline beizustehen, ihr Tee einzuflößen und sie ganz nebenbei nach den Einzelheiten ihrer schockierenden Entdeckung zu fragen.
Als Mamma Carlotta dazukam, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit prompt auf sie, da sie als Schwiegermutter des Kriminalhauptkommissars womöglich mehr wusste als alle anderen.
Doch sie schüttelte sämtliche Fragen ab. In ihr selbst rumorten so viele, dass sie sich ausnahmsweise nicht daran erfreuen konnte, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Als sie hörte, dass ihre Enkel nach Kampen unterwegs waren, um auch dort Unterschriften gegen das Gesundheitshaus zu sammeln, verabschiedete sie sich. Der Anblick der Leiche habe ihr derart zugesetzt, seufzte sie, dass nur frische Luft und der Blick auf die stürmische See ihr jetzt helfen könnten.
Als sie aus der Tür des Squashcenters trat, hatte Corinna Matteuer gerade ihren Range Rover geparkt. Mamma Carlotta beobachtete, wie sie das seidene Tuch, das sie über ihren Kopf geschlungen hatte, fest unter dem Kinn zusammenband und eine riesige Sonnenbrille aufsetzte, bevor sie ausstieg. Unsicher sah sie sich um, als hätte sie Angst, dass sie jeden Moment ein empörter Sylter tätlich angreifen könnte.
Als sie Mamma Carlotta erkannte, entspannte sich ihre Miene. »Signora! Sie auch hier? Ein Wind ist das heute! Das wird noch ein richtiger Sturm!«
Mamma Carlotta verbot sich ein freundliches Lächeln. »Hier tagt die Bürgerinitiative«, antwortete sie kühl. »Dass Sie sich überhaupt hertrauen!«
Corinna Matteuer ließ sich nicht anmerken, ob Carlottas zur Schau getragene Abneigung sie verletzte. »Erik hat mich von unterwegs angerufen und mich herbestellt.«
»Warum das denn?« Eigentlich wäre Mamma Carlotta gerne wortlos weitergegangen, aber nun siegte ihre Neugier.
»Weil ich anscheinend die Letzte war, die Sila lebend gesehen hat. Wir haben den Abend zusammen verbracht.«
Prompt vergaß Mamma Carlotta alle Vorbehalte, die sie gegen Corinna Matteuer hegte. »È vero? Dann wissen Sie auch, wer sie umgebracht hat?«
»Natürlich nicht!« Corinna lächelte spöttisch. »Ich habe mir schon das Hirn zermartert, ob sie gestern irgendwas gesagt hat, was ein Hinweis sein könnte.« Bekümmert schüttelte sie den Kopf. »Aber ich fürchte, ich werde Erik keine Hilfe sein.«
»Erst Ludo Thöneßen und Ihre Schwester, dann Dennis Happe und nun auch noch Sila Simoni. Und Sie haben alle vier gut gekannt.« Ein tiefer Seufzer sollte Corinna Matteuer suggerieren, dass Carlotta Capella es trotz ihrer Abneigung gut mit ihr meinte. »Das muss schrecklich für Sie sein.«
Corinna warf ihr einen durchdringenden Blick zu. Sie schien viel Übung im Einstecken von spitzen Bemerkungen zu haben. »Sie meinen, ich hätte etwas mit diesen Todesfällen zu tun?«
Mamma Carlotta beließ es bei einem ausdrucksvollen Schulterzucken. Sie drängte sich an Corinna Matteuer vorbei und ging zu ihrem Fahrrad. »Es wird Zeit, dass ich nach Hause komme.«
Corinna Matteuer steuerte auf die Eingangstür zu, hielt dann aber noch mal inne. »Ach, übrigens … Ihr Neffe hat heute Morgen angerufen.«
Mamma Carlotta fiel der Schlüssel aus der Hand, den sie soeben ins Fahrradschloss stecken wollte. »Niccolò?«
»Er hat wohl das Gefühl, dass Sie sich nicht richtig für ihn einsetzen. Er will das jetzt selbst in die Hand nehmen.«
»Aber ich habe ihm gesagt …« Mamma Carlotta versagte die Stimme.
»Er habe keine Chance, ja. Aber er gehört wohl zu den Menschen, die sich mit einem Nein nicht so schnell abfinden. Recht hat er! Einen Sylter zu bevorzugen wäre wohl wirklich nicht fair. Und ein
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