Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Untersuchungsstelle. »Die Marke kriegen wir raus. Modell und Größe auch!«
Mamma Carlotta wurde zurückgedrängt, wich aber erst ins Haus zurück, nachdem sie einen langen Blick auf das Sohlenrelief geworfen hatte. Es bestand aus vielen Wellenlinien, die an der Fußspitze und am Absatz durch je ein kleines Quadrat unterbrochen wurden. Unter dem Fußballen war die Sohle anscheinend schon abgelaufen, dort wurden die Wellenlinien schwächer. Groß war er, dieser Fußabdruck, von einem Männerschuh vermutlich.
»Mindestens Größe 47«, sagte Mierendorf in diesem Moment. »Riesige Quanten!«
Mamma Carlotta hätte gerne nach der Vokabel Quanten gefragt, konnte sich die Bedeutung jedoch schnell selbst erklären. Außerdem war sie viel zu sehr von den Gedanken in Anspruch genommen, die durch ihren Kopf geisterten. Würde Erik der gleiche Verdacht kommen wie ihr? Und was würde dann geschehen? Aber vor allem: Würde sich der Verdacht bewahrheiten?
S ören fuhr, als gälte es nicht, einen Mord aufzuklären, sondern ihn zu verhindern. Kaum hatten sie Flensburg hinter sich gelassen, drückte er das Gaspedal durch und hupte alles von der Straße, was ihm im Weg war. Erik klammerte sich an einen Haltegriff und gab es schnell auf, Sörens Fahrweise zu mäßigen.
»Wenn wir eine halbe Stunde auf den Autozug warten müssen, war die ganze Raserei umsonst«, versuchte er es noch einmal.
»Kann aber auch sein«, entgegnete Sören prompt, »dass wir den Zwölf-Uhr-Zug noch erwischen.«
Erik betrachtete Sörens Hände, die das Lenkrad so fest umklammerten, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sein ganzer Körper war angespannt, sein rundes, rotwangiges Gesicht glänzte. Sören war auf der Jagd! Auf der Jagd nach einem Mörder! Ihn an die Straßenverkehrsordnung zu erinnern, war absolut sinnlos.
Erik wandte seinen Blick von Sören ab. »Wieder ein eingeschlagenes Fenster…«, murmelte er.
Sören hatte ihn trotzdem verstanden. »Eigentlich total leichtsinnig. So was macht Lärm. Das ruft Nachbarn auf den Plan.«
»Hinter dem Squashcenter ist nachts nichts los«, antwortete Erik.
»Wissen wir denn schon, dass der Mord nachts passiert ist?«
»Kann auch später Abend gewesen sein. Die Simoni hat gesagt, sie wollte den Abend mit Corinna verbringen. Erinnerungen auffrischen. Wenn zwei alte Freundinnen sich nach Jahren wiedersehen, haben sie viel zu reden. Da wird sie nicht nach einer Stunde wieder gegangen sein.«
Während Sören waghalsig einen Lieferwagen überholte, lenkte sich Erik mit dem Handy von seiner Todesangst ab. Er wählte Corinnas Nummer.
Sie freute sich, seine Stimme zu hören. »Schade, dass du jetzt erst anrufst. Ich hätte gerne mit dir gefrühstückt. Aber wir können das nachholen. Außer einem Kaffee habe ich noch nichts im Magen.«
Erik wollte in der Gegenwart seines Assistenten kein Privatgespräch mit Corinna führen. Sören hatte am Abend zuvor mitbekommen, wie Mamma Carlotta gefragt hatte: »Du bleibst heute Abend zu Hause, Enrico?« Und dann sogar noch deutlicher: »Frau Matteuer braucht hoffentlich niemanden, der ihr während des Einschlafens die Hand hält?«
Erik hatte diese Provokation ignoriert, und als die Kinder zum Abendbrot kamen, hatte Mamma Carlotta die Fragerei zum Glück eingestellt.
Tatsächlich hatte Erik damit gerechnet, dass Corinna ihn anrufen würde, sobald Sila ihren Besuch beendet hatte. Aber sie musste es tatsächlich geschafft haben, die Nacht alleine zu verbringen. Die tröstenden Worte einer alten Freundin waren in einer solchen Situation vielleicht die beste Medizin.
»Ich musste heute sehr früh raus«, entgegnete er knapp auf Corinnas Einladung, damit sie merkte, dass dieses Gespräch nicht privat war. »Du weißt ja, wir waren gerade in Glücksburg. In der Wohnung deiner Schwester.«
»Und? Habt ihr was entdeckt?«
Über den Brief, den sie gefunden hatten, wollte Erik nicht am Telefon sprechen. »War Sila Simoni gestern Abend bei dir?«
Corinna bestätigte es. »Wir haben stundenlang über alte Zeiten geredet. Sie ist erst nach Mitternacht gegangen. Warst du um diese Zeit noch wach? Ich habe mich nicht getraut, bei dir anzurufen.«
»Hat sie was davon gesagt, dass sie noch in die Sauna wollte?«
Corinnas Misstrauen war nicht zu überhören. »Warum fragst du das?«
»Hat sie oder hat sie nicht?«
»Ja, hat sie! Obwohl ich es ihr ausreden wollte. Sie hatte viel zu viel Prosecco getrunken.«
»Kannst du ins Squashcenter kommen, Corinna? Ich muss mit dir
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