Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
brachte es nicht fertig, den Blick an der gegenüberliegenden Wand zu lassen, wie sie es eigentlich wollte. Ihre Augen huschten von dort zum Boden, dann wieder zurück, noch einmal zu dem leblosen Körper und erneut zurück. Dann wusste sie, dass es noch schlimmer sein würde, ihrer Neugier nicht nachzugeben, als das Ergebnis dieser Neugier zu ertragen.
Sila Simonis Körper war so vollkommen erschlafft, dass die Silikonbrüste sich seltsam lebendig, geradezu bizarr vital ausnahmen. Sie prangten auf ihrem leblosen Körper wie zwei fette Schmeißfliegen, die vom Tod profitierten.
Dr. Hillmot gab Enno Mierendorf einen Wink, damit er dafür sorgte, dass die Leiche abtransportiert wurde. Das weckte Mamma Carlottas Lebensgeister. »Sie hat sich also zum Saunieren zurückgezogen, und dann ist jemand gekommen und hat dafür gesorgt, dass sie aus der Sauna nicht wieder rauskam?« Sie schüttelte sich, als sie sich Sila Simonis letzte Lebensminuten vorstellte.
»Das herauszufinden ist der Job Ihres Schwiegersohns«, antwortete Dr. Hillmot. »Aber es sieht ganz so aus. Da wollte jemand, dass dieser Saunagang tödlich endete.«
Kommissar Vetterich war erleichtert, als Dr. Hillmots Arbeit getan und die Leiche seiner Spurensuche nicht mehr im Wege war. Der Gang vor dem Saunabereich war schmal, auch für die Duschen, das Tauchbecken und die Ruhezone war nur so viel Raum wie absolut notwendig aufgewendet worden. Dr. Hillmot und Mamma Carlotta zogen sich in Ludos Apartment zurück, das jedoch kaum mehr Platz bot. Drei der Spurenfahnder beschäftigten sich mit dem Fenster, ihre Gerätschaften verteilten sich auf dem Boden.
»Wieder ein eingeschlagenes Fenster?«, fragte Mamma Carlotta, obwohl sie die Antwort auf ihre Frage deutlich vor sich sah.
Dr. Hillmot nickte gleichgültig. »Wie im Baubüro, wenn ich mich recht erinnere.«
Mamma Carlotta erinnerte sich überdies an Dennis Happes Ferienwohnung. Auch dort war die Scheibe eingeschlagen worden.
Sie ließ sich aufs Sofa sinken, als sie hörte, dass Kommissar Vetterich nach Rudi Engdahl rief, und legte ihren bandagierten Fuß auf den niedrigen Couchtisch. Zwar schmerzte er kaum noch, und auch die Schwellung war zurückgegangen, aber sicher war sicher. Als aktives Mitglied einer Bürgerinitiative musste sie flott auf den Beinen bleiben.
Dr. Hillmot plumpste kurz darauf neben sie. Mehrere Handtaschen und eine Reisetasche standen auf dem Boden des ohnehin schon beengten Raumes, Kleidungsstücke lagen auf den Sesseln, gleich drei Beautycases standen am Fuß der Polstermöbel, daneben eine Fotokamera, ein Bauchtrainer und ein Inhaliergerät. Rudi Engdahl drängte sich an Mamma Carlottas und Dr. Hillmots Füßen vorbei zu der geöffneten Tür, die in den Saunabereich führte. Dort sah Kommissar Vetterich ihm entgegen. »Schauen Sie mal, was wir hier drin gefunden haben!« Engdahl nahm das kleine Plastiktütchen, das Vetterich ihm entgegenhielt, genau in Augenschein.
»Ein Zahnstocher. Wenn der vom Täter stammt, haben wir eine super DNA. Vorausgesetzt, er wurde schon mal benutzt.«
Mamma Carlotta fuhr vom Sofa hoch, landete auf dem verletzten Fuß, schimpfte ausgiebig, stolperte dann über ein Beautycase und arbeitete sich bis zur Tür vor. Sie machte einen Schritt auf Engdahl und Vetterich zu, der den Zahnstocher gerade in einem Plastikbeutel verschwinden ließ. Während er ihn beschriftete, hätte sie ihn gerne darum gebeten, sich das Fundstück etwas genauer ansehen zu dürfen, aber vermutlich sah ein Zahnstocher wie der andere aus. Und das Gefühl, das in ihrer Körpermitte zu rumoren begann, war wohl nur die Reaktion ihres Magens auf den Anblick der Leiche. Viele Menschen benutzten Zahnstocher! Ihr fiel auch gerade ein, dass auf der Theke der Sportlerklause ein Gläschen stand, das prall mit Zahnstochern gefüllt war.
»Vetterich!«, ertönte von draußen Enno Mierendorfs Stimme. »Hier gibt es einen Fußabdruck.«
Vetterich ließ sich nicht stören und schickte einen seiner Leute, die noch an der Tür arbeiteten, mit einem Wink in den Garten, wo Mierendorf in gebeugter Haltung in ein Blumenbeet starrte. Mamma Carlotta fragte nicht lange, sondern lief hinaus und stellte sich an seine Seite. Tatsächlich! Ein frischer, gut sichtbarer Abdruck! Einen Schritt von dem Zaun entfernt, über den der Täter gestiegen sein mochte. Dahinter gab es einen asphaltierten Weg, wo es mit der Spurensuche schwieriger wurde.
»Ein Turnschuh«, sagte der Mitarbeiter der Kriminaltechnischen
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