Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
tanzenden Sommersprossen, an die wirbelnden roten Locken … Er hatte sie im Arm gehalten, hatte sie geküsst. Nicht so wie Corinna, nein, Wiebke hatte er geküsst, wie ein Mann eine Frau küsst, in die er verliebt war. In Corinna war er nicht mehr verliebt, die Zeit war vorbei. Aber Wiebke …
Dr. Hillmot stieß die Tür auf und machte einen Schritt ins Zimmer hinein. Nur einen! Der dicke Gerichtsmediziner achtete wie immer darauf, sich nicht mehr zu bewegen, als unbedingt nötig war.
»Der Obduktionsbericht von Sila Simoni ist noch nicht ganz fertig«, stöhnte er. »Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Da gibt’s nichts Besonderes. Tod durch Herzversagen, ansonsten war die Dame kerngesund. Ich diktiere den Bericht heute noch. Morgen früh haben Sie ihn auf dem Tisch.«
»Danke, Doc!«, sagte Erik.
Dr. Hillmot nahm die Anstrengung auf sich, einen zweiten Schritt in seine Richtung zu machen. »Wie geht’s Ihrer Schwiegermutter, Wolf? Können Sie sie vielleicht daran erinnern, dass sie mir ein Abendessen versprochen hat?« Er lachte, als wollte er Erik damit weismachen, dass er seine Ermahnung nicht ernst meinte. Aber Erik wusste genau, dass Dr. Hillmot nicht scherzte. Wenn Mamma Carlotta auf Sylt war, versagten dem Gerichtsmediziner regelmäßig die guten Manieren. Notfalls lud er sich auch selbst ein, wenn es sonst niemand tat.
Erik nickte lächelnd. »Ich rufe zu Hause an und sage Bescheid, dass heute ein Gast am Tisch sitzen wird.«
Dr. Hillmot tat überrascht und trieb seine Komödie sogar so weit, laut zu überlegen, ob er am Abend überhaupt Zeit habe. Dann sagte er zu. »Das geht! Ich werde pünktlich Feierabend machen! Dann haben wir vielleicht auch Gelegenheit, über die Obduktionsberichte zu reden.«
»Beim Essen?« Erik war entsetzt, denn er wusste, dass Dr. Hillmot es fertigbrachte, sich Antipasti, Primo, Secondo und Dolce schmecken zu lassen, während er über Stichverletzungen, Schädelfrakturen und die Entnahme von Organen plauderte.
Der Gerichtsmediziner hob bedauernd die Hände. »Sorry! Das geht natürlich nicht.«
Als er gegangen war, durchsuchte Erik die Papiere, die auf seinem Schreibtisch lagen. »Nun muss ich mir die Obduktionsberichte aber wirklich mal ansehen. Wenigstens überfliegen! Der Doc ist sonst tödlich beleidigt.«
Zuunterst lag der Bericht über die Obduktion von Ludo Thöneßen, darüber der von Matilda Pütz, auf den gehefteten Blättern, die daneben lagen, stand der Name von Dennis Happe. Erik legte alle drei Berichte an eine Stelle seines Schreibtisches, wo sie ihm mehrmals täglich ins Auge fallen mussten.
»Warum?«, fragte Sören, und Erik wusste sofort, dass er nicht die Obduktionsberichte meinte.
»Warum Wiebke Reimers Dennis Happe umgebracht haben sollte?«, erkundigte er sich trotzdem vorsichtshalber, wartete aber Sörens Bestätigung nicht ab. »Ein Motiv haben wir immer noch nicht. Aber warum sollte sie sonst das Fenster eingeschlagen haben? Wäre sie gekommen, um mit Dennis Happe zu reden, hätte sie die Tür genommen.«
»Die war verriegelt, als die Demo sich näherte«, gab Sören zu bedenken.
Erik tippte sich an die Stirn. »Es wird eine Klingel geben, oder sie hätte klopfen können. Schlagen Sie gleich ein Fenster ein, wenn Ihnen jemand eine Bürotür nicht öffnet?«
Sören schüttelte den Kopf. »Wenn ich jemanden umbringen will, aber auch nicht. So was ruft das Opfer sofort auf den Plan. Wer so finstere Absichten hat, schleicht sich an, überrascht sein Opfer, damit es leicht zu überwältigen ist.«
»Stimmt!« In Erik begann prompt ein Pflänzchen Hoffnung zu sprießen. »Dennis Happe hätte sich zur Wehr gesetzt. Aber es gab keine Kampfspuren, nur schwache Abwehrspuren. Es sah so aus, als wäre er von dem Angriff überrascht worden.«
»Andererseits …« Sören dachte nach. »Vielleicht wollte sie Dennis Happe gar nicht umbringen. Sie wollte etwas stehlen, von dem sie wusste, dass es in Matildas Schreibtisch war. Sie hat das Fenster eingeschlagen, als sie merkte, dass Dennis in dem anderen Büroraum war. Sie hat gehofft, dass er es nicht hört.«
»Aber er hat es doch gehört und ist angelaufen gekommen?«
»Sie hat sich blitzschnell mit einem Brieföffner bewaffnet und sich versteckt. Hinter dem Aktenschrank vielleicht. Dennis Happe stand vor Matildas Schreibtisch, merkte, dass er durchwühlt worden war, wunderte sich darüber, fragte sich noch, wer das gewesen sein könnte …«
»… und Wiebke Reimers kommt aus ihrem Versteck,
Weitere Kostenlose Bücher