Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
unterwegs.«
Erik sah auf die Uhr. »So lange? Hoffentlich hat sie keine Probleme bei dem Sturm.«
»Von Kampen nach Wenningstedt war es schwierig. Aber die Nonna wollte in Wenningstedt bleiben. Da kann sie das Fahrrad notfalls schieben.«
Erik schüttelte seine Sorge ab. »Wenn sie kommt, sag ihr, dass das Essen heute Abend auch für Dr. Hillmot reichen muss.«
»Es wird auf jeden Fall reichen«, antwortete Carolin. »Felix und ich sind nicht da. Die Bürgerinitiative tagt außerplanmäßig im Squashcenter. Wir wollen den Gemeinderat zwingen, sich unser Anliegen wenigstens anzuhören.« Ihre Stimme nahm wieder diesen Ton an, den Erik mittlerweile kannte und von dem er glaubte, dass Carolin damit Ursula von der Leyen imitierte, deren Rhetorik sie bewunderte, seit sie beschlossen hatte, in die Politik einzusteigen. »Die Industrialisierung des Fremdenverkehrs macht unsere Landschaft kaputt. Die Wirtschaft hat mittlerweile viel zu viel Macht über die Natur gewonnen. So geht das nicht weiter! Wir müssen uns alle um eine positive Zukunftsgestaltung kümmern.«
Erik brummte etwas Zustimmendes, denn er hatte längst gelernt, dass das der einfachste Weg war, einer Diskussion mit seiner Tochter über die Zukunft der Insel zu entkommen.
Prompt war Carolin zufrieden. »Ich übernachte dann bei Tina, und Felix will bei Jan schlafen.«
S ie starrten die Tür an und lauschten auf die Schritte. Sie mussten einer Frau in hochhackigen Schuhen gehören.
Und schließlich hörten sie eine weibliche Stimme: »Hallo?«
Mamma Carlotta hatte damit die Frage, ob sie von einem anderen als von Fietje Tiensch gefunden werden wollte, wieder vergessen: »Hilfe! Holen Sie uns hier raus!«
Die Schritte wurden energisch und kamen näher. Wiebke Reimers zog sich mit einem Mal von der Tür zurück. Beinahe sah es so aus, als wollte sie sich hinter Mamma Carlotta verstecken. Der Schlüssel wurde im Schloss gedreht, die Klinke bewegte sich abwärts, und zögernd öffnete sich die Tür, so langsam, als stünde jemand davor, der Angst vor dem hatte, was ihn erwartete.
Mamma Carlotta hielt die Ungewissheit nicht lange aus. Sie stieß die Tür weit auf. Dann staunte sie die Person an, die vor ihr stand. »Sie?«
»Ich bin zufällig hier vorbeigekommen, und da sah ich, dass der Schlüssel außen im Schloss steckte. Das kam mir komisch vor. Und die Tür war verschlossen. Das fand ich erst recht merkwürdig. Da dachte ich, ich sehe mal nach dem Rechten …«
Mamma Carlotta schob Corinna Matteuer zur Seite, lief durch die Küche in den Gastraum und atmete tief durch. Endlich wieder frei! Sie hörte Wiebke hinter sich aus der Vorratskammer taumeln und sofort in der Toilette verschwinden.
»Was für ein merkwürdiger Zufall!«, sagte Mamma Carlotta und betrachtete Corinna Matteuer ausgiebig, als könnte sie als Retterin in der Not eine andere geworden sein, als die unbeliebte Investorin je gewesen war.
»Ein glücklicher Zufall, würde ich sagen.« Corinna lächelte verlegen, als wollte sie sich für ihre Heldentat nicht loben lassen. »Wie konnte das passieren?«
Mamma Carlotta sah sich um und stellte fest, dass Wiebkes Tasche nicht mehr auf dem Barhocker stand, auf dem sie abgestellt worden war. »Jemand hat ihre Tasche gestohlen und uns eingeschlossen, damit wir ihn nicht verfolgen konnten.« Ihr kam ein schlimmer Verdacht, und sie ging hinter die Theke, um einen Blick in Toves Kasse zu werfen. Aber dort gab es immer noch eine Menge Kleingeld und auch einige Zehn- und Zwanzig-Euro-Scheine. Der Dieb hatte also nicht die Nerven gehabt, sich gründlich in Käptens Kajüte umzusehen. »Er hat sich die Tasche geschnappt und dann dafür gesorgt, dass ihm keiner folgt.«
»Der ist wohl längst über alle Berge«, bestätigte Corinna Matteuer.
Die Toilettenspülung rauschte, kurz darauf erschien Wiebke Reimers auf der Bildfläche. »Danke«, sagte sie zu Corinna. »Ich bin heilfroh, dass Sie uns da rausgeholt haben.«
Mamma Carlotta gab Wiebke vorsichtig zu verstehen, dass es zu früh war, sich zu freuen. »Ihre Tasche …«
Wiebke machte einen Schritt auf den Barhocker zu, starrte lange auf die Sitzfläche und ihr blank poliertes, rissiges Holz. »Verdammt!«, flüsterte sie.
»Hatten Sie viel Geld bei sich?«, fragte Mamma Carlotta mitfühlend.
Aber Wiebke antwortete nicht. Sie wandte sich an Corinna. »Ausgerechnet Sie haben bemerkt, dass etwas in Käptens Kajüte nicht stimmt?«
Corinna lachte künstlich. »Wie das Leben so spielt!
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