Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Unterschriften gesammelt?«, machte er noch einmal den vorsichtigen Versuch, herauszufinden, warum seine Schwiegermutter mit den Essensvorbereitungen noch nicht weitergekommen war.
Aber auch diesmal erhielt er keine Antwort. Entweder hörte sie ihm nicht zu, oder sie wollte ihm nicht sagen, womit sie die Zeit vertrödelt hatte. »Ich habe da heute eine merkwürdige Geschichte gehört«, begann sie, und Erik ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder, weil er wusste, dass er nun längere Zeit nur zuhören durfte. Der Verdacht, dass seine Schwiegermutter ihn mit irgendeiner völlig uninteressanten Geschichte von etwas ablenken wollte, verstärkte sich.
»Mir hat jemand von einem Mann erzählt, der als Baby adoptiert worden war. Als er älter wurde, erfuhr er, dass er nicht das einzige Kind seiner leiblichen Mutter war. Diese Frau hatte insgesamt vier Kinder zur Welt gebracht! Und alle vier hat sie zur Adoption freigegeben. Ist das nicht … incredibile?«
Sie teilte den Kabeljau, der noch längst nicht aufgetaut war, mit viel Kraftaufwand in mundgerechte Stücke und warf die Bandnudeln ins Wasser, das gerade zu kochen begonnen hatte.
»So was kommt vor«, entgegnete Sören, der genauso wenig an dieser Geschichte interessiert war wie sein Chef, es sich aber nicht so deutlich anmerken ließ.
»Das ist noch nicht alles«, fuhr Mamma Carlotta fort. »Der Junge ist gequält worden. Seine Großmutter hat ihn häufig in einen finsteren Keller eingesperrt.« Die Kabeljaustücke landeten in der Gemüsepfanne, als wären sie schuld an der schweren Kindheit des Adoptivkindes und sollten nun dafür büßen. »Er hat sich furchtbar gerächt. Seine Großmutter hat er ermordet, indem er sie unter einem Strandkorb begrub, wo sie sich zu Tode gegruselt hat. Und auch seine drei leiblichen Geschwister, die es in ihren Adoptivfamilien besser hatten als er, hat er einen nach dem anderen umgebracht.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, als versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Dann fiel ihr auf, dass Erik sie mit großen Augen anstarrte. »Ist was, Enrico?«
Er schüttelte schnell den Kopf, warf Sören einen intensiven Blick zu und dirigierte ihn mit dem Kopf aus der Küche hinaus. »Lassen Sie uns in den Keller gehen und einen Rotwein aussuchen, Sören!«
Sein Assistent verstand den Wink glücklicherweise sofort, wenn er auch nicht so aussah, als wäre ihm klar, warum sein Chef mit ihm allein reden wollte.
D as Weinregal stand unter der Kellertreppe. Mamma Carlotta war sicher, dass Erik und Sören eine Weile brauchen würden, bis sie den richtigen Wein ausgesucht hatten. Wie gut, dass an diesem Abend die Kinder nicht im Hause waren! Sie hätten verhindert, dass ihre Nonna auf Zehenspitzen über den Flur huschte und vorsichtig die Klinke der Kellertür herunterdrückte. Das leise Knarren erschreckte sie zwar, aber sie hoffte, dass die beiden Männer derart in ihr Gespräch vertieft waren, dass sie es nicht hörten. Außerdem gab es zurzeit so viele Geräusche im Haus, die zu diesen stürmischen Tagen gehörten, dass sie wohl auch deshalb nichts bemerken würden. Der Wind klapperte mit der Regenrinne und den Mülltonnen, schlug die Äste der Bäume ans Fenster, jaulte unter dem Türspalt des Kellerausgangs hindurch und stöhnte gerade in diesem Augenblick durch die Haustür, als Erik zu Sören sagte: »Meine Schwiegermutter hat mich auf eine Idee gebracht. Sie nicht?«
Sörens Stimme war nicht zu hören, vermutlich zuckte er mit den Schultern, weil er nicht verstand, worauf Erik hinauswollte.
»Wiebke Reimers ist doch ein Adoptivkind«, hörte Mamma Carlotta ihren Schwiegersohn sagen. »Der Chefredakteur der Mattino hat gesagt, sie suche ihre Herkunftsfamilie, aber vielleicht hat sie sie längst gefunden?«
Sörens Stimme klang erschrocken. »Sie meinen …«
»Dennis Happe! Ja! Seine Eltern haben gesagt, sie hätten ihn als Baby adoptiert! Erinnern Sie sich? Dennis könnte Wiebkes Bruder sein!«
»Und Sila Simoni?« Sörens Stimme war atemlos. »Die war ihre Schwester?«
»Das müssen wir herausfinden.«
»Aber wir haben keine Spuren von Wiebke Reimers, sondern von Tove Griess gefunden.«
»Das kann viele Gründe haben. Zum Beispiel, dass Tove Griess uns die Wahrheit gesagt hat und er wirklich nur im Garten des Squashcenters war, um einen Blick in die Sauna zu werfen.«
»Und der Zahnstocher im Saunabereich? Und seine Behauptung, er hätte Corinna Matteuer in Ludos Apartment gesehen? Sie war nachweislich
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