Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Bier. Beides fiel Wiebke Reimers zum Glück nicht auf, denn gerade in diesem Augenblick stellte sie fest, dass jemand an der Theke saß, den sie kannte. Und auch Mamma Carlotta ging auf, wen sie da so unverhofft wiedersah.
»Die Reporterin der Mattino! Das ist aber eine Freude!« Mamma Carlotta hielt die Begeisterung nicht auf dem Hocker. Sie sprang auf, drückte Wiebke Reimers die Hände und versicherte, wie schön es sei, ihr noch einmal für ihre Hilfe danken zu können. »Mein Schwiegersohn ist gerade dabei, den Reifen zu flicken!« Tove und Fietje beugten sich vor und lauschten, als Mamma Carlotta tuschelte, sie sei sehr froh, Wiebke noch einmal in aller Ausführlichkeit erklären zu können, warum ihre Familie nichts davon erfahren sollte, dass sie einen Besuch im Baubüro von Matteuer-Immobilien gemacht hatte. »Sie wissen ja, die Unterschriftenaktion!«
Wiebke Reimers sah nicht so aus, als ginge ihr der Zusammenhang ohne Weiteres auf, aber sie nickte der Einfachheit halber und richtete ihr Augenmerk auf Toves Fischbrötchenangebot.
»Und außerdem«, fügte Mamma Carlotta an, »soll auch niemand wissen, dass ich hier, in Käptens Kajüte, Rotwein aus Montepulciano trinke.« Sie warf Tove und Fietje einen Blick zu, die beide prompt in eine andere Richtung sahen, als wollten sie nichts davon wissen, dass Hauptkommissar Wolf seiner Schwiegermutter vom Kontakt zum lebenden Inventar dieser Imbissstube dringend abgeraten hatte.
»Käptens Kajüte?« Wiebke sah sich verwirrt um. »Ich dachte, ich wäre hier bei Gosch?«
Damit war der Irrtum geklärt, wie jemand glauben konnte, Tove Griess mache die besten Fischbrötchen der Insel. Aber Mamma Carlotta, die sich noch länger an Wiebke Reimers’ Gesellschaft erfreuen wollte, behauptete, die Fischbrötchen in Käptens Kajüte seien auch sehr delikat, vor allem, weil der Wirt sie für besonders nette Kunden frisch zubereite.
Tove Griess verstand diesen Hinweis auf Anhieb, schnitt ein Brötchen auf, legte ein Matjesfilet zwischen die Hälften und darauf etwa doppelt so viele Zwiebelringe, wie es sie bei Gosch gab. Anscheinend versuchte er damit, aus Wiebkes Irrtum reine Wahrheit zu machen.
Von ihrem Plan, sich für den Abend noch einen Rollmops einpacken zu lassen, riet ihr Mamma Carlotta jedoch ab, als sie feststellte, dass diese mit den Zahnstochern zusammengehalten wurden, auf denen Tove neuerdings ständig herumkaute.
S ie wurde durch Schritte auf der Treppe aus ihren Erinnerungen gerissen. Schnell erhob sie sich und holte Eier und Schinken aus dem Kühlschrank. Erik liebte am Morgen ein kräftiges Rührei, und das sollte er bekommen, wenn es ihr selbst auch den Magen umdrehte! Vielleicht bekam sie sogar Gelegenheit, ihm zu erzählen, dass Wiebke Reimers nach ihm gefragt hatte. Ganz unauffällig natürlich und mit der Beteuerung, dass sie sich nur für seinen Beruf interessiere. Aber Mamma Carlotta nannte sich selbst eine Expertin in Sachen Amore und hatte befunden, dass Wiebke die Harmlosigkeit ihrer Frage ein wenig zu nachdrücklich beteuert hatte.
Erik trug eine seiner geliebten Breitcordhosen, als er die Küche betrat. Dazu ein kariertes Hemd und darüber einen dunkelblauen Pullunder. Das war die Kleidung, in der er sich besonders wohlfühlte. Nur bei großer Hitze entschied er sich für eine dünne Baumwollhose und ein T-Shirt, und im Winter tauschte er Hemd und Pullunder gegen einen warmen Pullover mit Rollkragen aus. Er wünschte seiner Schwiegermutter flüchtig einen guten Morgen und tippte dabei eine Telefonnummer in sein Handy. »Sören? Wir fangen heute früher an. Sieht so aus, als wäre Ludo Thöneßen nicht auf Freiersfüßen unterwegs, sondern tatsächlich verschwunden.«
E rik war erschüttert, als er sich in dem Zimmer umsah, in dem Ludo Thöneßen seit Jahren hauste. Es war sein Schlafzimmer, sein Wohnzimmer und seine Küche zugleich, von dort ging es direkt in ein winziges Badezimmer. Das war alles!
»Das Bad benutzt er selten«, erzählte Jacqueline Hansen. »Ihm stehen ja die Duschen in der Sauna zur Verfügung.« Sie zeigte auf die Tür, durch die sie hereingekommen waren. Sie verband die Sauna mit Ludos Zimmer, auf der anderen Seite führte noch eine Tür nach draußen. Daneben stand ein Tischchen, und darauf lagen die Medikamente, die Jacqueline für ihren Chef besorgt hatte. »Die sind lebenswichtig für ihn«, betonte sie noch einmal.
Erik sah sich ratlos um. Das Zimmer war vollgestopft mit Mobiliar, als hätte Ludo so viel wie
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