Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
jungen Männern ihre Spindschlüssel. »Haben Sie was gefunden?«, fragte sie leise.
»Ein Schild«, antwortete Erik. »Hatte Ihr Chef die Absicht, ein Bistro zu eröffnen?«
Jacqueline lachte. »Wovon?«
» Ludos Bistro. Noch nie gehört?«
Nun wurde Jacqueline ernst. »Er hat mal erwähnt, dass er gerne das Bistro im neuen Gesundheitshaus übernehmen würde. Aber ich habe das für Spinnerei gehalten. Luftschlösser!«
Sören mischte sich ein: »Sind Thöneßen und Sila Simoni eigentlich geschieden?«
Jacqueline schüttelte den Kopf. »Ludo wollte das nicht, weil es ihn Geld gekostet hätte, das er nicht besaß. Und der Simoni war es wohl nicht wichtig. Die ist geschäftstüchtiger als Ludo. Sie hat vor der Ehe alles genau geregelt, hat ihr Vermögen behalten und ist auch nicht unterhaltspflichtig.« Ihr Blick wurde ängstlich. »Was soll nun werden?«
Erik konnte darauf keine klare Antwort geben. »Wir werden eine Vermisstenanzeige aufnehmen. Und dann wird die Suche nach Ludo Thöneßen beginnen.«
C arlotta Capellas Gefühle schäumten über. Den ganzen Tag hatte sie gegrübelt. Von ihrem Schlafzimmer aus war sie in Carolins Zimmer gelaufen, von dort zu Felix und dann ins Badezimmer, um sich über den Inhalt ihres Waschbeutels herzumachen. Felix hatte es rundheraus abgelehnt, sich um das Outfit seiner Großmutter zu kümmern, aber Carolin war ihr gefolgt und hatte ihr alles gereicht, was sie selbst sich mittlerweile zugelegt hatte, um ihr Äußeres attraktiver zu machen. Auf diesem Gebiet änderten sich ihre Vorlieben zurzeit häufig. Während sie, kaum dass sie über Kleidung und Frisur selbst entscheiden durfte, stets eine schlichte Aufmachung bevorzugt hatte – im Nacken zusammengebundene Haare, unauffällige T-Shirts, Jeans, braune Halbschuhe und am liebsten beige Socken –, änderte sich ihr Stil mittlerweile, sobald sie einen neuen Beruf ins Auge gefasst hatte. Zu der angehenden Lehrerin hätte das Schmucklose nach ihrer Meinung gut gepasst, als sie Schriftstellerin werden wollte, glaubte sie, dass es auf Äußerlichkeiten überhaupt nicht ankam, und als sie davon träumte, mit Volksmusik Karriere zu machen, liebte sie Dirndl, weite Röcke und weiße Söckchen. Dann kam die Zeit, in der Modedesign auf Platz eins ihrer Pläne stand, also bevorzugte sie ausgefallene Modelle und traute sich an ihr erstes Make-up. Dazwischen gab es kurze Phasen, in denen sie verliebt war und sich kleidete, wie es dem Jungen gefiel, der ihr Herz gerade erobert hatte.
Das alles war zurzeit vergessen, denn Carolin hatte beschlossen, in die Politik zu gehen. Heimlich träumte sie sogar schon von einem Ministersessel und legte größten Wert darauf, seriös und vertrauenswürdig zu erscheinen. Sie war nun stets korrekt frisiert, entschied sich neuerdings gern für weiße Hemdblusen und für eine entschlossene Miene, als müsste sie die Welt retten. Mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit ging sie an die Verschönerung ihrer Großmutter heran. »Rosa Lippenstift! Was hältst du davon?«
»No, no! Lippenstift habe ich selber. Knallrot! Das steht mir besser. Aber vielleicht … Wimperntusche?«
Carolin zeigte ihr, wie sie damit umzugehen hatte, kurz darauf schaute Mamma Carlotta in dicht und lang bewimperte Augen, die ihr fremd, aber auch sehr schön vorkamen.
»Wie wär’s mit Rouge?«, schlug Carolin vor, drückte ihre Nonna auf den Badewannenrand, hob ihr Kinn und fuhr mit dem Rougepinsel ein paarmal über ihre Wangen. »Nicht schlecht«, sagte sie anerkennend, als sie fertig war.
Mamma Carlotta sprang auf und sah in den Spiegel. »Madonna! Wenn das meine Nachbarinnen in Panidomino sähen!« Sie fuhr zu Carolin herum. »Was mache ich mit meinen Haaren? Ob ich noch zum Friseur gehe?«
Carolin hielt das für reine Geldverschwendung. Sie griff in die Haare ihrer Großmutter, ordnete sie mit den Fingern, befestigte ihre Locken hier und da mit Haarspray und zupfte ihr ein paar in die Stirn. »Das sieht cool aus«, behauptete sie.
Mamma Carlotta staunte ihr Spiegelbild an. »Carolina! Das hast du wunderbar gemacht.« Schon lief sie in ihr Zimmer zurück. »Nun noch das Kleid! Mein rotes, das ich mir im Frühjahr gekauft habe? Nein, das ist zu dünn.«
Carolin war ihr gemächlich gefolgt. »Am besten, du trägst eine Hose. Und dazu Papas winddichte Jacke.«
Carlotta sah ihre Enkelin empört an. »Ich soll mich so anziehen, als führe ich mit dem Fahrrad zu Feinkost Meyer? No, no! Impossibile!«
»Abends ist es kalt! Du
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