Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
wieder den dicken kunterbunten Schal gewickelt, der ihre Augen zum Leuchten brachte.
»Moin, die Herren!«, rief sie fröhlich.
Die Kamera hing um ihren Hals, ihre Umhängetasche stieß bei jedem Schritt an ihren rechten Oberschenkel. Ihre Augen lachten, ihr Mund lachte, ihre ganze Person lachte, und ihre roten Locken standen unbekümmert in alle Richtungen ab. Sie stieß mit einem Reisenden zusammen, der auf die Beförderung seines Gepäcks konzentriert war, und entschuldigte sich so lange bei ihm, bis sie in einen Zeitung lesenden Geschäftsmann lief, dem sie auf die Füße trat. Ein abgestellter Koffer brachte sie schließlich beinahe zu Fall. Zu Eriks Ärger war es Sören, der die Geistesgegenwart besaß, Wiebke Reimers aufzufangen und auf die Beine zu stellen.
»Ups!«, rief sie und lachte erneut. So, als hätte ihr dieser Hindernislauf Spaß gemacht. Sie strahlte ihn so lange an, bis Erik seine kalte Pfeife in die Tasche steckte und lächelte. »Haben Sie den Mörder von Dennis Happe schon gefunden?«
Erik antwortete mit einer Gegenfrage. »Was machen Sie hier?«
Sie sah ihn verdutzt an, als verstünde sie die Frage nicht. »Sila Simoni kommt gleich an. Meinen Sie, diese Fotos lasse ich mir entgehen?« Sie lachte, vermutlich um Eriks dienstlicher Miene wieder ein Lächeln aufzumalen. Aber es gelang nicht.
»Woher wissen Sie das?«, fragte er, immer noch ohne erkennen zu lassen, was ihn mit Wiebke mittlerweile verband.
»Ich bin Reporterin, schon vergessen? So was habe ich zu wissen. Mein Chefredakteur reißt mir den Kopf ab, wenn Sila Simoni auf Sylt erscheint und ich nichts davon mitbekomme.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
Wiebke machte eine wegwerfende Handbewegung und versuchte es erneut mit einem unschuldigen Lachen. Sören steckte sie tatsächlich an, er grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich habe meine Quellen«, erklärte sie. »So was braucht man. Aber glauben Sie nicht, dass ich Ihnen verrate, woher ich solche Informationen beziehe. Streng geheim!«
Erik hielt ihr wortlos den Titel des Inselblattes hin.
»Schönes Bild!«, kommentierte Wiebke trocken. »Sehr gut getroffen. Ihre Schwiegermutter ist fotogen.«
»Ich hoffe nicht, dass so ein Bild demnächst auch auf der Mattino zu finden ist.«
»Wo denken Sie hin! Die Mattino ist eine Wochenzeitschrift. Auf dem Titel haben wir nur Promis.«
»Wann erscheint die Ausgabe, in der Sie von Corinna Matteuer berichten?«
»Nächste Woche! Vorausgesetzt, bis dahin gibt es keinen Flugzeugabsturz, bei dem ein Promi dran glauben muss, kein gesunkenes Kreuzfahrtschiff und keinen politischen Skandal.«
Der Lautsprecher knackte, eine Stimme kündigte den Zug an, mit dem Sila Simoni erwartet wurde.
Wiebke zückte die Kamera. »Die Bilder schicke ich heute noch in die Redaktion. Ein echter Promi hat mir in meiner Reportage noch gefehlt. Sila Simoni kennt ja wirklich jeder!«
I n Käptens Kajüte fasste Mamma Carlotta den Wirt und den Strandwärter fest ins Auge. »Damit das klar ist – mein Schwiegersohn weiß, dass Sie auf der Demo waren. Er weiß auch, dass Sie sich hinter dem Baubüro versteckt haben.«
Wütend warf Tove die Grillzange weg und beugte sich über die Theke, sodass Mamma Carlotta Mühe hatte, nicht vom Barhocker zu fallen, weil sie sich so weit wie möglich von seiner Wut, seinem schlechten Körpergeruch und dem spitzen Zahnstocher in seinem linken Mundwinkel entfernen wollte. »Mussten Sie ihm das unbedingt auf die Nase binden?«
»Sì«, antwortete sie tapfer. »Es geht schließlich um Mord. Da muss ich meinem Schwiegersohn die Wahrheit sagen. La famiglia geht vor!«
»Und jetzt meint er, wir hätten diesen jungen Kerl abgemurkst?«, brüllte Tove und ließ seine Wut an den Fischfrikadellen aus, während Fietje sich an seinem Jever verschluckte.
Mamma Carlotta bemühte sich um Haltung. »Wenn Sie’s nicht getan haben, ist alles in Ordnung. Enrico wird niemanden verdächtigen, der unschuldig ist. Non mai!«
»Wie oft der mich schon verdächtigt hat!«, höhnte Tove.
»Dann waren Sie garantiert nicht unschuldig! È vero?«
Tove verstummte, weil ihm anscheinend auch gerade einfiel, dass Eriks Beschuldigungen sich bisher immer, trotz gegenteiliger Beteuerungen, bestätigt hatten.
Nach Toves Gebrüll klang Fietjes Stimme noch leiser, als sie sowieso schon war. »Dann wird Ihr Schwiegersohn bald hier auftauchen, um uns zu vernehmen?«
Dazu konnte Mamma Carlotta nichts sagen. Und da Fietje so unglücklich aussah,
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