Kurschattenerbe
Tage vor Beginn des Symposiums – im Haus des Malers stattfinden. Tony Perathoner war mit der Durchführung beauftragt.
»Etwas ist schiefgelaufen?«, unterbrach Lenz.
»Tony ist an dem Abend wie verabredet zu Peter Mitterer gegangen. Auf sein Klingeln reagierte niemand. Da die Haustür nicht abgesperrt war, ging er hinein in der Hoffnung, den Maler anzutreffen. Doch der war bereits tot und das Bild verschwunden. Um nicht selbst unter Verdacht zu geraten, stahl er sich wieder aus dem Haus, ohne die Polizei zu verständigen.« Jenny machte eine Pause. »Das zumindest behauptet Kateryna.«
Lenz, der seinen Sessel etwas seitlich zum Tisch gerückt und seine langen Beine von sich gestreckt hatte, nahm seine Hornbrille ab und betrachtete die Gläser. »Du glaubst Kateryna?«, fragte er.
Jenny überlegte. »Ihr glaube ich. Bei Tony bin ich mir nicht so sicher. Er könnte genauso gut selbst der Mörder sein und das Bild an sich gebracht haben, um es auf eigene Rechnung zu verkaufen.«
Lenz setzte seine Brille wieder auf. »Das erklärt nicht, warum Sascha das Medaillon bei sich hatte und abgehauen ist.«
»Kateryna erklärt es mit der Laune einer pubertierenden 13-Jährigen …«
»Du glaubst das nicht?«
»Sascha wirkt auf mich nicht launisch. Ich habe das Gefühl, dass etwas anderes hinter ihrem Benehmen steckt. Fragt sich bloß, was.«
In dem Moment sahen sie ein Mädchen in einem giftgrünen Shirt und einer Basecap vorbeiradeln. In einigem Abstand folgte ein athletisch gebauter Mann, der auf seinem E-Bike reichlich ungelenk wirkte. Sascha und Victor. Oder Juri. Einer der beiden Bodyguards war offensichtlich auf einen strombetriebenen Untersatz umgestiegen.
»Wird sie ihn bald wieder abhängen«, sagte Lenz und wies auf den Leibwächter, der stehen geblieben war. Irgendetwas schien mit seinem Reifen nicht in Ordnung zu sein. Sah nach einem Platten aus. Ob Sascha dahintersteckte? Zuzutrauen war es ihr, davon war Jenny überzeugt.
Wie um Jennys Verdacht zu bestätigen, drehte das Mädchen sich um. Sie bemerkte, dass ihr Aufpasser stehen geblieben war, fuhr jedoch nicht etwa langsamer oder machte gar kehrt, sondern beschleunigte ihr Tempo.
»Zahlst du bitte.« Lenz war aufgesprungen und hatte einen Geldschein auf den Tisch geworfen. »Diesmal lass ich sie nicht entwischen«, rief er Jenny zu und rannte die wenigen Treppen vom Café zur Promenade hinunter. Dort schnappte er sich ein blitzblaues Fahrrad, das an eine der Lampensäulen gelehnt war, und nahm die Verfolgung des Mädchens auf.
Jenny blickte Lenz hinterher. Wieder hatte er sie sitzen lassen. Wieder war er plötzlich aufgebrochen. Wenigstens war er diesmal nicht Viola hinterhergelaufen.
Sie blickte noch einmal auf das Fahrrad und erkannte, dass es eines aus dem Hotel sein musste. Die hatten alle die typische blaue Farbe. Jenny hatte sich gleich am ersten Tag erkundigt und die Räder begutachtet: In unterschiedlichen Größen und einheitlichem Blitzblau waren sie in der Garage aufgereiht gewesen. Sie hatte vorgehabt, sich eines der Räder zu leihen, bisher allerdings keine Gelegenheit dazu gefunden. Lenz offenbar schon.
»Zahlen bitte«, rief sie der Kellnerin über mehrere Tische hinweg zu und wedelte mit dem Schein, den Lenz ihr dagelassen hatte. Das Fahrrad erinnerte sie an etwas. Sie musste dringend zu einem Computer.
*
Aldo Klotz hielt nichts von der Gepflogenheit, Verdächtige zu zweit einzuvernehmen. Wenn es sich einrichten ließ, arbeitete er lieber im Alleingang. Deshalb saß er Martha Tappeiner nun in ihrer guten Stube allein gegenüber. Sie hatte die Unterarme auf die raue Oberfläche des Bauerntisches aus hellem Nadelholz gelegt und rieb ihre Hände unaufhörlich ineinander.
»Sie haben also keine Idee, wer den Mitterer auf dem Gewissen haben könnte?«
Klotz stellte die Frage im Laufe der Einvernahme nicht zum ersten Mal. Gleich zu Beginn der Befragung hatte er die Zeugin mit dem Zeitungsartikel konfrontiert und ihr auf den Kopf zugesagt, dass sie die Informantin des Meraner sei. Martha machte gar nicht erst den Versuch zu leugnen.
»I han g’wisst, wenn i’s den Beppo erzähl, wert er des Richtige tuan. I bin froh, dass es ausserkemmen isch«, bekannte sie.
»Sie haben der Polizei gegenüber angegeben, es sei nichts gestohlen worden. Ich kann Sie wegen falscher Zeugenaussage belangen.« Klotz fixierte Martha. »Oder gleich wegen Mordes festnehmen.«
»Na, um Gottes willen, des tat i doch nie im Lebn …«, rief sie aus und
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