Kurt Ostbahn - Schneeblind
seinem Fernet-Glas.
»Ich kenn sie nicht«, stelle ich richtig.
»Muy complicado«, seufzt der Trainer. Dann nickt er lang und ausführlich mit dem Kopf.
»So is es. Denn deine alte Liebe hat zusätzlich zu ihrer Unpünktlichkeit noch ein Problem, das sie vielleicht gar nicht überleben wird.«
»Eh«, sagt der Trainer. Jetzt mit Blick auf den Mars, Jupiter oder die Venus.
10
CHILL-OUT.
Der Herr Josef ist daheim bei seiner Schwester, der Martha, und hat somit jemand, der ihn sicher aus dem Gwand, den Schuhen und unter die Tuchent bringt.
Der Trainer ist daheim in seiner Meidlinger Mansarde, wo er sich jetzt noch unbedingt »Lone Star« auf DVD in der amerikanischen Originalfassung reinziehen muß.
Der Doc ist mit Tabletten vollgestopft in seinem Datenheim in der Kirchengasse, schläft tief und träumt dabei schlecht, wegen der vielen unbeantwortet gebliebenen Fragen.
Madame Nora ist - wir wissen es nicht.
Und Zofe Gerda bangt mit uns.
Mein neuer CD-Wechsler hat Kris Kristofferson übrigens den Weisel gegeben, wie man so sagt, und spielt nun ungefragt immer wieder das Frühwerk von Count Basie. Ich find das tendenziell eh okay, werd ihm aber einfach den Stecker rausziehen müssen, wenn ich den »One O’ Clock Jump« für deplaziert halte, weil es bald auf fünf Uhr früh geht.
Apropos. Weil immer wieder Anfragen kommen: Wie macht das der Kurtl, wie gibt er sich den definitiven Chill-Out? Antwort: So. Genau so. Mit dem Count, mit dem Duke, mit den sechs wesentlichen Kings (Albert, Freddie, B.B., Ben E., Nat und Alfred), und den Queens Ella, Etta, Sarah, Dinah, Billie und Anita.
Und dazu ein Glas, aber nicht mehr, vom besseren Roten.
Aber heute wollen Geist und Körper nicht so recht zur Ruhe kommen, denn es geht schließlich um das eine oder andere bedrohte Menschenleben, die drohende Schließung meines Stammlokals, einen potentiellen Serienkiller, eine verschollene Domina mitsamt verschreckter Zofe, einen verdächtig komplizierten Trainer und um Schüler des BRG Henriettenplatz, die den Weltuntergang planen, weil sie im Deutschunterricht die Ostbahn-Files durchgenommen und den Trainer persönlich kennengelernt haben.
Für den Vernunftmenschen Ostbahn macht das alles wenig Sinn.
Für den Herzensmenschen Ostbahn hingegen ist klar: Der Trainer würde nicht so reizbar reagieren, wenn diese geheimnisvolle Nora bloß seine zarte erste Liebe wäre, die nun als Teneriffa-Urlauberin mit einem kleinen Evakuierungsproblem und strengem Jobprofil auf einen Sprung in seinem Leben vorbeigeschaut hat.
Was weiß man, eventuell war sie wochenlang Gast im kanarischen Bungalow des Trainers? Und eventuell hat das einem anderen Mann in ihrem Leben schwer mißfallen, so schwer, daß er in seiner rasenden Eifersucht zum Verfasser der beiden Fax-Botschaften wurde.
Was allerdings die These des Doc in Grund und Boden stampfen würde, daß es sich bei dem Schreiber um einen psychopathischen Gewalttäter, einen Serienkiller in den Startlöchern handelt. Und der Doc hat sich in unserer bisherigen Ermittlerkarriere nur ein einziges Mal geirrt, nämlich in der Causa »Totenvogel«, die in meinem Fallbericht »Kurt Ostbahn: Platzangst« nachzulesen ist und den Doc dazumals persönlich schwerst be/getroffen hat.
Ich hab so den Verdacht, mein Watson geizt momentan mit der ganzen Wahrheit. Eigentlich sollte ich ihn gleich anrufen und um sofortige Aufklärung bitten. Aber wenn der Trainer vor seinem neu angeschafften DVD-Player parkt, läßt er den Anrufbeantworter für sich sprechen, und der erklärt mir nur pampig, daß der Chef grad Wichtigeres zu tun hat, als sich mit mir zu unterhalten.
Auch gut. Kein Trainer.
Chill-Out. Mit Ella Fitzgerald und dem Orchester Duke Ellington, live aufgenommen an der Cote D’Azur im Sommer 1966, und sie sind ganz meiner Meinung, nur halt auf amerikanisch: »It Don’t Mean a Thing (if It Ain’t Got That Swing)«.
Und just als ich mit Ella per Luxusliner durch den Ozean der gehobenen modernen Sangeskunst gleite, hupt mein 57er Chevy.
»Ostbahn. Was gibt’s?« sage ich, offenbar durch eine gewisse Bettschwere meiner ansonsten klaren und deutlichen Artikulation beraubt.
»Hallo?« erkundigt sich eine reife weibliche Stimme. »Bin ich da richtig bei Ostbahn?«
»Kommt drauf an«, sage ich.
»Entschuldigen Sie die späte Störung ...«
»Frühe«, korrigiere ich.
»Wie bitte?« Dann ein kurzes, dunkles Lachen. »Ja, richtig. Gleich halb sechs. Hier spricht Nora. Die Nora, die Sie gestern
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