Kurt Ostbahn - Schneeblind
er bei mir sozusagen in Behandlung war, eine sehr eigenartige und gefährliche Verwandlung durchgemacht. Vom Flagellanten mit religiösem Tick zu einer gespaltenen, schwer kranken Persönlichkeit. Wissen Sie: Es kommt hin und wieder vor, daß die Rollenspiele, die ich mit meinen Klienten mache, eskalieren und immense Energien freisetzen, die der Betreffende dann kurzzeitig nicht mehr unter Kontrolle hat, aber ...«
»Folgendes«, unterbreche ich Noras Ausführungen zwar ungern, aber notwendigerweise. »Es liegt garantiert nicht an Ihrer Artikulation, sondern einzig und allein an mir, an meinem mangelnden Fachwissen über gewisse neue Kommunikationstechnologien und deren Auswirkungen auf das menschliche Sexualverhalten. Resultat ist: Ich versteh, ehrlich gesagt, kein Wort von dem, was Sie mir da erzählen.«
»Dann sollten wir einen Nachhilfekurs ins Auge fassen«, meint Nora schmunzelnd.
»Wenn’s nicht weh tut«, sage ich.
12
LEBEN & LERNEN.
In der ersten Lektion erfährt der lernwillige Studiosus, was er immer schon über das dunkle Reich der bizarren Erotik wissen, aber nicht unbedingt am eigenen Leib erleben wollte.
Obwohl: Nora ist eine hervorragende Pädagogin, die es versteht, den mitunter sperrigen, komplizierten Stoff so zu vermitteln, daß ich nicht nur gebannt an ihren Lippen hänge, sondern sogar Gusto kriege, die eine oder andere erotische Versuchsreihe anzugehen, natürlich nur unter ihrer fachkundigen Aufsicht und Anleitung.
Aber schön der Reihe nach.
Nora hat vor zehn Jahren, nach ihrer Scheidung vom Fahrschul-Rechberger, damit begonnen, ihre sexuellen Phantasien auszuleben, die immer schon mit weiblicher Dominanz und Unterwerfung zu tun hatten. Vor vier Jahren machte sie dann ihre Neigung zum Beruf und arbeitete in einem exklusiven Studio als strenge Dame, aber auch als Zofe, »um beide Seiten der Medaille besser kennenzulernen. Denn du kannst als Herrin nur dann wirklich überzeugen, wenn du auch die Träume und Phantasien deiner Sklaven ausgelebt hast.«
Einer von Noras Stammgästen im Gummisalon des Dominastudios am Fuße des Wilhelminenbergs war ein junger Computerfachmann namens Paul. Er brachte Nora auf die Idee, ihre dominanten Talente auch in der virtuellen Welt des Internet einzusetzen. Die Vorstellung war faszinierend: ein Fantasia der bizarren Erotik, ein Themenpark der dunklen Lüste und Begierden. Du surfst zu Madame Noras Website und betrittst ein Wunderland, in dem du dir alle deine Träume erfüllen kannst.
Nora konzipierte ihr Reich der Dominanz, und Gummisklave Paul setzte es am Computer um. Vor zwei Jahren gründete man gemeinsam die Firma »Noroticom«, und seit der festlichen Eröffnung erfreut sich das virtuelle Sklavenparadies regen Zuspruchs.
Wer an Noras Portal im Internet klopft, wird freundlich, aber bestimmt herein- und zur Kasse gebeten, sobald er sich für eines der zahlreichen Angebote entschieden hat. Der Kunde bezahlt per Kreditkarte für die Dauer seines Verweils. Und Stammkunden, die sich zum Beispiel für Noras Disziplinseminare per E-Mail entschieden haben, überweisen ihre monatliche Kursgebühr auf das diskrete Firmenkonto der »Noroticom«.
Die Uhr läuft zum günstigen Normaltarif, wenn der Besucher Madame Nora, sagen wir, als Lederherrin, resolute Oberschwester in Latextracht oder den Rohrstock schwingende Hauslehrerin sehen und sich ihre Bildgeschichten zwecks vertiefenden Studiums runterladen möchte. Die Uhr läuft deutlich schneller, wenn der Kunde Madame Nora in einem ihrer Videoclips bei der Arbeit zusehen will, zum Beispiel der harten, aber gerechten Züchtigung von Zofe Gerda. Ganz besonders schnell läuft Noras Uhr, wenn der Kunde den direkten Kontakt sucht, mit Madame per E-Mail verkehren oder live mit ihr chatten will.
Im Unterschied zum Pornogeschäft, wo die nicht sonderlich anspruchsvolle Laufkundschaft auf einer Million billig gemachter Homepages mit anonymen Wichsvorlagen versorgt wird, kann sich Madame Noras exklusives, kundenfreundliches Etablissement über einen ständig wachsenden Stammkundenstock freuen.
»Der schnelle Schilling mit Nepp und linken Tricks interessiert mich nicht, weil mir das, was ich tue, selbst viel zu wichtig ist. Ich hab während meiner Ehe viele Jahre darunter gelitten, nicht ich selbst sein zu dürfen, obwohl ich damals noch überhaupt keine Ahnung gehabt hab, was da eigentlich so alles in mir steckt. Ich weiß, daß es vielen meiner Kunden ganz ähnlich geht wie mir damals. Sie müssen heimlich
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