Kurt Ostbahn - Schneeblind

will er mit der rasanten Entwicklung der neuen Technologien mithalten. Danach keine Teilnahme an Lehrveranstaltungen im Bereich Informatik, EDV etc.
    »Der Zusammenbruch seiner Firma, die ihm über so viele Jahre Sicherheit und Halt gegeben hat, hat ihn offenbar schwer getroffen. Der Betrieb war seine Ersatzfamilie. Und plötzlich stand Kohout vor dem Nichts«, spekuliert der Doc, während auf den Monitoren der hagere HTL-Schüler ins Leere schaut. »Auf diesen Schock reagiert jeder anders. Der eine sucht, findet und stürzt sich in eine neue Aufgabe. Der andere kommt über noch einen solchen Verlust nicht hinweg.«
    Der Trainer hat sich von meiner Schulter auf den Besucher-Fauteuil verfugt und ist dort eingeschlafen. Ich hingegen folge den Forschungsergebnissen des Doc mit wachsender Anteilnahme.
    »Und wie hat der Kreuzschinder, pardon, der Kohout die letzten Jahre verbracht?« frage ich den Doc. Die Datenshow gibt Auskunft.
    Arbeitslos. Überqualifiziert. Im psychiatrischen Krankenhaus. Arbeitslos. Nicht vermittelbar. Selbstmordversuch (mit Tabletten). Vier Monate Teilzeitkraft bei einem Internet-Provider. Gehaltsexekution. Privatkonkurs. Selbstmordversuch (Selbstverstümmelung). Krankenhaus. Pflegefall. Krankenhaus (Lungenentzündung). Kuraufenthalt (Mönichkirchen).
    »Er war ein Internet-User der ersten Stunde. Im Dezember letzten Jahres drehte ihm auch der letzte Provider den Saft ab, weil er die Gebühren nicht bezahlen konnte«, sagt der Doc und schaut zwider in Richtung Trainer. Dann klappert er auf der Tastatur seines größten Rechners. Auf einem der Monitore erscheint eine endlos lange Tabelle von Zahlen und Buchstaben, die mir anscheinend was sagen soll.
    »Und?« frage ich.
    »Das ist seine psychiatrische Krankengeschichte«, meint der Doc. »Kohout, Werner. Wie du siehst, arbeite ich allerdings noch daran, alle Zahlen und Fakten zu dekodieren.«
    »Alles klar«, sag ich.
    Mehr will ich im Moment eigentlich gar nicht wissen. Aber das kann ich dem Doc nicht sagen. Das würde er nicht verstehen.

19
    QUÄLER.
    Der neue CD-Wechsler sagt, daß er weder Tower Of Power noch Dr. John und Dinah Washington leiden kann. Eigentlich, sagt er, kann er alle meine Platten nicht ausstehen. Deshalb legt er jetzt auch auf unbestimmte Zeit die Arbeit nieder. Wenn du unbedingt Musik hören willst, dreh das Radio an. Sagt er. Oder such deinen alten Walkman, wechsle die Batterien aus und hör dir endlich eine der verstaubten Trainer-Lehrcassetten an, die er vor vielen, vielen Jahren für dich zusammengestellt hat.
    »Sonst noch was, Rindviech?« frage ich den CD-Wechsler.
    »Besorg dir was von den Vengaboys. Dann reden wir weiter!«
    Ich zeige ihm den ausgestreckten Mittelfinger und er geht nach einem schmollenden Rattern auf Standby.
    Der Anrufbeantworter hingegen war brav und fleißig. Während ich in Doktor Trashs Tropenheim geschwitzt und dabei Wissenswertes über die Geschwister Kreuzschinder erfahren hab, hat er ein Dutzend besorgter Telefonate entgegengenommen, die er mir jetzt gern Vorspielen würde.
    »Okay«, sage ich. »Ich bin zwar hundsmüd und meine Speicherkapazität is mehr als erschöpft, aber wenn ich jetzt Nein sag, gibst du mir ja trotzdem keinen Frieden. Also, red schon: Wer aller hat heute gequält?«
    In erster Linie die Kombo, die mit der Entscheidung des Trainers, die Aufnahmesession auf nächste Woche zu verschieben, nicht einverstanden ist. Fünf Kombo-Musi-ker, alle außer Ricky Gold, der offenbar mit dem Mischen seiner Domina-Filmmusik eingedeckt ist, deponieren in 11 Anrufen 55 gute Gründe, warum unbedingt morgen und nicht später mit den Aufnahmen begonnen werden sollte.
    Ich werd drüber nachdenken.
    Und dann Nora.
    Mit der Bitte um dringenden Rückruf. Denn: Es is was passiert.
    Eingegangen ist ihre Nachricht um 20 Uhr 23. Sagt der Anrufbeantworter.
    Da schwitzte ich noch im Cockpit des Doc und ließ mir von ihm die Krankenkarriere des Werner Kohout ausdeutschen. Der heutige Kreuzschinder ist seit dem Selbstmord seiner Mutter immer wieder in psychiatrischer Behandlung gewesen. Weil er, wie der Volksmund sagt, Sachen sieht. Und außerdem Dinge hört, die in einem gesunden Kopf nix verloren haben. Ein paar der vielen Gutachten und Befunde nennen das paranoide Schizophrenie. Und alle Gutachten sprechen von Suizidgefahr, akuter und weniger akuter. Außerdem sei sein Sexualverhalten allerhand, von »auffällig« bis »deviant«, was mir der Doc als »von der üblichen Norm abweichend«