Kurt Ostbahn - Schneeblind
und Wahnsinn.
»Ohne euren neuesten Erkenntnissen vorgreifen zu wollen«, beginnt er seine Ausführungen, »möchte ich euch meinen Favoriten für die Kreuzschinder-Rolle vorstellen, wenn dieser kleine Scherz erlaubt ist.«
»Unbedingt«, sage ich.
Der Doc bittet uns gnädig in sein Cockpit.
Auf den Monitoren erwartet uns ein Multimedia-Spektakel, wie ich es noch nicht erlebt hab. Vier Bildschirme geben auf Kommando Auskunft über Kreuzschinder, Hannes und Michaela, sein Treiben im Internet, seine Vita, inklusive datengeschützter fachärztlicher Befunde, und zeigen sogar den Grundriß seiner Wohnung im generalsanierten Wohnhaus Schönbrunner Straße 56. Erster Stock. Türnummer 7.
Die Datenshow des Doc dauert ungefähr eine halbe Stunde. Danach bin ich vom vielen Schauen, Staunen und Merken völlig erledigt.
Der Trainer ist es jetzt schon, noch vor Beginn der Vorstellung.
»Die Nerven«, meint er. »Und die Mörderhitz da. Die Kombination haut den stärksten toro um.«
Daß er quasi im Gehen, an der Stehbar der cantina, den Nachos und mexikanischen Bieren unbedingt noch einen mindestens fünfstöckigen Tequila hinterher schicken mußte, läßt er unter den Tisch fallen.
Ich hab ihn noch gewarnt.
»Sei vorsichtig«, sagte ich. »Der Agavenschnaps und die Tropenhitze beim Doc vertragen sich nicht, Trainer.«
»Bledsinn. Überleg einmal logisch, Kurtl«, sagte der Trainer und hob das Glas. »Dann müßten sie drunt in Mexico ja nur Tschapperlwasser trinken und ihren vielen Tequila und Mezcal allein für den Export in die kalten Erdteile produzieren. Auf unserer mehr oder weniger gemeinsamen Bildungsreise durch dieses schöne, aber auch verdammt heiße Land haben wir uns doch mehrfach davon überzeugen können, daß dem nicht so ist. Die Mexikaner schwitzen wie wir und trinken Tequila wie wir. Okay, vielleicht schwitzen sie mehr. Aber das liegt wiederum daran, daß sie mehr Tequila trinken. Salud!«
Und weg war der goldfarbene Olmeca.
Typisch.
Aber wann hört der Trainer schon auf das, was man ihm sagt?
Jetzt hängt er an meiner rechten Schulter und hat Probleme, der Informations- und Bilderflut auf den vier Bildschirmen folgen zu können, was in keinem Fall gut ist, ganz besonders nicht, wenn man auf Kreuzschinders Liste steht.
Kreuzschinder; Hannes und Michaela.
Geboren in Wien-Margareten am 10. Jänner 1960 als Werner Kohout.
Vater: Josef Kohout. Mutter: Ernestine Kohout, geb. Kreuzweber.
Nach dem Freitod (durch Schlaftabletten) der psychisch labilen Mutter (1972) wächst Werner K. in der Familie ihrer Schwester Christine im niederösterreichischen Himberg auf.
Stiefvater: Georg Riebel.
Kinder: Michaela Riebel (geb. 1958) und Hannes Riebel (geb. 1964).
Ein Schwarzweißfoto zeigt Werner K. im Kreise seiner Familie: Die Riebels posieren als Sieger eines Kostümwettbewerbs im Fasching 1975 für den Lokalteil-Ost des »Niederösterreich-Boten« als die »Munsters«.
Im selben Jahr besteht er die Aufnahmeprüfung für das HTL in Mödling und absolviert die »Höhere Technische Lehranstalt« vier Jahre später mit gutem Erfolg.
Ein Schwarzweißfoto zeigt Werner K. im Kreise seiner Mitschüler: Die Basketball-Auswahl seiner Schule hat ein international besetztes Osterturnier gewonnen. Die strahlenden Sieger und ihr Pokal. Für den Lokalteil-Ost des »Niederösterreich-Boten« abgelichtet.
Werner K. ist der hagere Blonde in der zweiten Reihe, der im Moment der Aufnahme aus dem Bild und ins Narrenkastl schaut.
Das österreichische Bundesheer verzichtet nach der Musterung auf Werner K.’s Dienste. Das fachärztliche Attest spricht von einer »psychisch und sexuell gestörten Persönlichkeit«, deren Aufnahme in die Gemeinschaft der Grundwehrdiener abzulehnen ist, weil Werner K. eine Belastung für das Gruppengefüge darstellen könnte.
»In den Archiven des Bundesheeres liegen demnach«, bedauert der Doc, »keine fotografischen Aufnahmen des jungen Kreuzschinder vor. Und es existiert auch kein Bildmaterial von seiner Zeit bei >Magnum-Schöffle<, dem dazumals führenden Hersteller von Heizsystemen. Dort war Kohout von 1977 bis zum Konkurs des Unternehmens als Techniker beschäftigt.«
Nach dem Tod seines Vaters übernimmt Werner K. (1986) die Wohnung in der Schönbrunner Straße. Dort lebt er alleine. Familienstand: ledig. Über Untermieter/Bettgeher liegen keine Informationen vor.
Er besucht eine Reihe von staatlich geförderten Fortbildungskursen. Bis zur Schließung von Magnum-Schöffle (1993)
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