Kurt Ostbahn - Schneeblind
aus.
Einen Musenkuß später sitzt er neben seiner Jugendliebe, die frisch dem Bade entstiegen nach Zimt und Honig duftet, und knabbert versonnen an der knusprigen Ente. Ich hab die undankbare Aufgabe, Nora den neuesten Stand unserer Ermittlungen näherzubringen und in Plan A einzuweihen. Meine Konzentration läßt zu wünschen übrig, weil Nora die erste Frau ist in meinem an Erfahrungen so reichen Leben, die sich auf die hohe Kunst versteht, sogar in einem blaßblauen Jogginganzug wie die Dame des Hauses auszusehen und ganz nebenbei auch noch Essen mit Stäbchen zu einer neuen erotischen Disziplin zu machen.
Ich sag‘s, wies ist: Ich würde jetzt gern mit dem Trainer tauschen. Nicht nur die Plätze, hier am Tisch. Überhaupt und immer schon. Ich wäre gern in Noras Parallelklasse, der 6A, und würde ihr eine Botschaft schreiben, die keinen Zweifel läßt an meinen ebenso ernsten wie unschicklichen Absichten. Kein Rilke, kein Celan, kein Ginsberg. Der pure Stoff, die nackte Wahrheit. Henry Miller, das kommt hin. Ich glaub, sie würde mich nicht mit ein paar Werkanalysen und verständnisvollen Blicken abspeisen, um anschließend mit dem Rechberger Andi zu vögeln. Nein, der Rechberger könnte für sie olympiareif vom 10-Meter-Brett springen, alle seine Salti, Schrauben und zig-fachen Rittberger würden ihm nix nutzen, weil ihr der coole Mundharmonikaspieler mit den langen Federn nicht mehr aus dem Kopf geht, der ihr auf der Innenseite seiner Johnny-Ohne-Packung mitgeteilt hat, daß er sie für die schönste-beste-geilste Braut der ganzen Schule hält und so lang nicht mehr schlafen kann, bis sie mit ihm zu »Black Magic Woman« getanzt hat oder zu »Foxy Lady«, eng, ganz eng, damit sie deutlich spürt, wie ernst er es meint.
Vieles im Leben wäre von diesem ersten Tanz an anders gelaufen, für die Karin Richter, für mich, aber auch für den Trainer. Garantiert. Ich schätze, wir säßen jetzt nicht hier, im Feng-Shui-Büro von Noroticom bei einem späten chinesischen Dinner, und müßten uns auch nicht über Paul Körner und Plan A unterhalten, weil sich Nora gar keinen Paul Körner in ihr Leben geholt hätte, der ihr im Moment nach demselbigen trachtet.
»Aber wir verzetteln uns«, sage ich laut.
Nora schaut zu mir herüber. Erstaunt. Amüsiert. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sie kann auch Gedanken lesen.
»Inwiefern?« erkundigt sich der Trainer, der eben am Wort war und von mir unterbrochen wurde. Es ging um das Abendessen zu dritt, zu dem der Trainer morgen abend in seine Meidlinger Mansarde geladen hat, und das nun auf unbestimmte Zeit verschoben werden muß, weil Plan A eventuell Plan B folgen wird, und der Trainer ergo weder die Zeit noch den Kopf hat, sich in die Küche zu stellen und ein viergängiges südindisches Menü zu komponieren.
»Folgendes«, sage ich. Wichtige Zehntelsekunden, um wieder Ordnung in mein Raumzeitgefüge zu bringen. Ich lege Messer und Gabel nieder, tupfe mir mit der sonnengelben Papierserviette die fettigen Lippen ab und nehme dann einen Schluck von der Noroticom-Hausmarke.
Dann bin ich so weit wiederhergestellt, daß ich Nora in die Augen schauen und die entscheidende Frage stellen kann: »Traust du ihm das zu, Nora? Traust du dem Körner zu, daß er den ganzen Kreuzschinder-Hokuspokus nur inszeniert hat, um den Verdacht von sich abzulenken?«
»Wenn er sich immer noch täglich so kräftig die Nase pudert wie vor zwei Monaten, als ich ihn das letzte Mal regelmäßig zu Gesicht bekommen hab, dann trau ich ihm alles zu«, sagt Nora.
»Du meinst ...«
»Peruvian marching powder«, zitiert der Trainer den Kinkster, unseren texanischen Kollegen Richard »Kinky« Friedman.
»... der Körner hat ein gröberes Drogenproblem?« bringe ich meine Frage zu Ende. »Davon ist mir bei unserer Begegnung heut draußen vor der Tür nix aufgefallen. Ich mein: Blöd reden gehört dazu, in seinem Alter. Und bei der Saukälte rinnt jedem die Nase.«
»Aber dem Paul rinnt sie nicht nur draußen in der Kälte«, weiß Gerda.
»Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß bei mir endgültig der Ofen aus war, als ich dahintergekommen bin, daß er das Zeug nicht nur schnupft«, sagt Nora. Und nach einer kleinen Pause: »Der Paul steht auf Nadeln.«
»Typischer Fall von Doppelnutzen«, sage ich. »Aber auch ein teures Hobby.«
»Der gute Paul hat ein großes Problem«, kommt Nora ins Grübeln, nachdem sie brav aufgegessen hat und die Stäbchen auf den leeren
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