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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kimmelmann
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Stimme. „Wenigstens haben die Mädchen überlebt. Sie haben zwei gesunde Enkelinnen.“
    „Aber was soll denn aus den beiden werden?“, schrie die Mutter der Verstorbenen verzweifelt mehr gen Himmel denn zu dem Arzt. „Ich kann sie doch nicht großziehen, ganz allein! Ich hab doch schon ihre Mutter ganz allein durchgebracht.“
    „Wir werden sicher eine gute Familie für sie finden“, meinte der Doktor. „Sie brauchen jetzt erst einmal Schlaf, Mrs. Myers. Ich gebe Ihnen noch etwas zur Beruhigung.“
    „Wo bin ich denn nun schon wieder gelandet?“, brummte Tom und schüttelte den Kopf.
    „Destiny, North Carolina“, hörte er eine weibliche Stimme hinter sich.
    Tom drehte sich schnell um. Er kannte die junge blonde Frau, die hinter ihm stand. Im ersten Moment hielt er sie für Maura, aber dann besann er sich eines Besseren. Sie hatte zwar dieselben Augen, aber es war nicht Maura. Es war die Nutte, die er vor zwanzig Jahren mit auf sein Hotelzimmer in Vegas genommen hatte.
    „Du kennst mich noch, Tom Bogenhart?“, fragte sie.
    „Das ... das ist unmöglich“, stammelte er. „Du bist um keinen Tag gealtert!“
    „Beruhige dich, Tom“, sagte sie schnippisch. „Ich kann nicht altern, ich bin tot.“
    „Du bist ...“ Tom schnappte nach Luft und fasste sich an die Brust.
    „Um genau zu sein, schleppen sie mich gerade in dem Leichensack aus dem Haus. Kyra Myers, 23 Jahre alt. Kurz vor ihrem Tod noch Mutter von Zwillingen geworden. Etwa neun Monate nach unserem ... Erlebnis in Vegas. Knapp zwanzig Jahre ist das jetzt her.“
    „Neun Monate?“, keuchte Tom. „Das heißt ...“
    „Das heißt, ich bin schwanger geworden in der Nacht, in der du mich vergewaltigt hast.“
    „Vergewaltigt? Ich hab dich doch nicht ...“
    „Wirklich nicht, Tom? Versuch dich zu erinnern.“
    Tom senkte den Kopf.
    „Ich war ein junger Hitzkopf“, sagte er beschämt. „Ich ...“
    „Du warst fünfunddreißig Jahre alt, du liebe Güte!“, rief Kyra aus und hob die Hände zum Himmel.
    „Was ist aus den Mädchen geworden?“, schluchzte Tom. Tränen rannen in Bächen seine Wangen hinab.
    „Sie sind beide tot“, sagte Kyra ungerührt.
    „Nein!“, schrie Tom und schlug zum wiederholten Mal in dieser Nacht die Hände vors Gesicht. „Nein, das kann nicht sein!“
    „Du bist ihnen beiden heute Nacht begegnet, Tom. Du hast gesehen, wie sie gestorben sind. Nora ist vor etwa zehn Jahren ermordet worden. Meine Mutter hat sie weggegeben und sie wurde an eine Farmerfamilie in Shakespeare’s Lot, Nebraska vermittelt. Der Farmer war ein manischer Shakespeare-Fan, hat eines Abends seine Frau erschlagen und mit Nora eine Szene aus Titus Andronicus nachgestellt, bevor er ihr den Schädel eingeschlagen hat.“
    „Nein, bitte nicht! Sag, dass das nicht meine Tochter war, die so gestorben ist!“
    „Doch, Tom. Und das weißt du auch. Du hast ihre Augen gesehen. Dieselben Augen wie ich, das hast du gleich gemerkt.“
    „Und Maura? Sie war auch meine Tochter?“
    „Ja, Tom. Du weißt am besten, wie sie gestorben ist. Sie ist von einem Waisenhaus zum nächsten geschoben worden. Irgendwann wurde sie eine Hure.“
    „Dann war sie auch nur eine Vision, die du mir geschickt hast? Sie ist an einer Überdosis gestorben, nachdem sie mit einem Freier im Bett war?“
    Kyra schüttelte nachsichtig den Kopf.
    „Mach dir nichts vor, Tom. Sie ist erst heute Nacht gestorben. Du warst ihr letzter Freier.“
    „Nein!“, brüllte Tom und brach zusammen. Er spürte in seinem Inneren einen Stich, der ihm den Verstand zu rauben drohte vor Schmerz. „Nein, sag, dass das nicht wahr ist! Ich war nicht mit meiner eigenen Tochter im Bett, bevor sie gestorben ist!“
    „Doch, Tom, das ist die Wahrheit. Vor zwanzig Jahren hast du mir Gewalt angetan und mich geschwängert. Wir waren dir scheißegal, wahrscheinlich hast du nie wieder an uns gedacht. Aber du hast nichts als Unglück über mich und meine Töchter gebracht.“
    „Was willst du von mir?“, kreischte Tom in wahnsinniger Hysterie.
    „Ich bin dein Schicksal, Tom“, sagte Kyra ruhig. „Und ich bin die Rache.“
    „Was kann ich nur tun?“, schluchzte Tom.
    „Du kannst nur noch eines tun, Tom. Buße. Und zuvor eine letzte Konsequenz.“
    Sie zeigte mit ihrem rechten Arm über den Rasen auf die Straße. Dort stand eine Tür mitten auf dem Weg, als habe sie sich schon immer völlig frei stehend dort befunden.
    „Geh durch die letzte Tür, Tom“, sagte sie. „Dort wirst du die letzte Antwort

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