Kurz vor Mitternacht
gewähren Ihnen die Vergünstigung des Zweifels.»
«Sie suchen wohl erst ein Motiv?», bemerkte Nevile bitter.
Battle schwieg.
Leach blickte zur Decke empor.
«Es ist wie ein schrecklicher Traum», murmelte Nevile verzweifelt. «Ich kann nicht das Geringste tun. Ich komme mir vor wie in einer Falle.»
Inspektor Battle schaute auf. In seinen halbgeschlossenen Augen blitzte etwas wie Erleuchtung auf.
«Gut ausgedrückt», nickte er. «Wirklich sehr gut. Das bringt mich auf einen Gedanken…»
28
Jones führte Nevile Strange in die Halle hinaus und brachte dann Kay über die Terrasse herein, sodass das Ehepaar sich nicht begegnete.
«Die andern wird er aber sehen», bemerkte Leach.
«Um so besser», gab Battle zurück. «Ich will nur nicht, dass er seine Frau aufklärt.»
Kay trug einen dunkelgrünen Pullover, über dem ihr Haar wie eine flammende Kupferschale wirkte. Sie sah erschrocken und erregt aus. Ihre Schönheit kam in dem dunklen, ernsten Raum besonders stark zur Geltung.
Leach forderte sie auf, genau Auskunft über den vergangenen Abend zu geben.
Sie habe Kopfschmerzen gehabt und sei früh zu Bett gegangen – gegen Viertel nach neun. Sie habe tief geschlafen und sei erst am Morgen durch lautes Geschrei erwacht.
Battle führte das weitere Verhör.
«Kam Ihr Mann zu Ihnen herein, bevor er das Haus verließ?»
«Nein.»
«Die Verbindungstür zwischen Ihren beiden Zimmern war abgeschlossen? Wer hat sie versperrt?»
«Ich», lautete die knappe Antwort.
Battle sagte nichts, sondern wartete, wartete wie ein ältlicher, väterlicher Kater – auf eine Maus, die aus dem Loch kommen sollte, vor dem er saß.
Sein Schweigen bewirkte, was keine Frage vollbracht hätte. Kay stieß impulsiv hervor:
«Oh, ich nehme an, dass Sie längst alles erfahren haben! Der dumme, alte Hurstall muss uns vor dem Tee gehört haben, und er wird es Ihnen wohl brühwarm erzählt haben! Nevile und ich hatten einen Streit, einen schlimmen Streit! Ich war wütend auf ihn! Ich ging hinauf und verschloss die Tür, bevor ich mich schlafen legte, weil ich noch immer wütend war auf ihn!»
«Ich verstehe», erwiderte Battle mitfühlend. «Und worum drehte sich der Streit?»
«Ist das wichtig? Ach was, ich werde es Ihnen sagen! Nevile hat sich ganz einfältig benommen. Aber daran ist nur dieses Weib schuld!»
«Wer?»
«Seine erste Frau. Sie brachte ihn dazu, hierherzukommen. Nevile meint, es sei sein Einfall gewesen – der Unschuldsengel! Aber das stimmt nicht. Er dachte gar nicht daran, bis er sie eines Tages im Park traf und sie ihm den Floh ins Ohr setzte, und zwar so, dass er glaubt, er sei selber darauf gekommen. Ich habe von Anfang an gewusst, dass Audrey dahintersteckt.»
«Warum sollte sie so etwas getan haben?», fragte Battle.
«Weil sie ihn sich wieder einfangen wollte.»
Kay sprach rasch, und ihr Atem ging schnell.
«Sie kann es mir nicht verzeihen, dass ich ihn ihr weggeschnappt habe. Das ist nun ihre Rache. Sie wollte, dass wir hier zusammentreffen, und dann setzte sie ihm zu. Seit unserer Ankunft. Sie ist sehr geschickt, müssen Sie wissen. Sie versteht sich darauf, rührend auszusehen und gleichzeitig einen andern Mann auszuspielen. Sie brachte Thomas Royde, der sie schon immer verehrt hatte, dazu, ebenfalls herzukommen, und sie machte Nevile verrückt, indem sie vorgab, Thomas heiraten zu wollen.»
Atemlos hielt sie inne.
Battle fiel milde ein: «Ich hätte gedacht, dass Ihr Mann sich freuen würde, wenn seine erste Frau mit einem alten Freund glücklich werden könnte.»
«Sich freuen? Er ist eifersüchtig wie der Teufel!»
«Dann muss er sie sehr gern haben.»
«O ja», versetzte Kay bitter, «dafür hat sie gesorgt.»
«Warum haben Sie sich denn nicht geweigert, hierherzukommen?»
«Wie konnte ich? Das hätte ja ausgesehen, als ob ich eifersüchtig wäre!»
«Nun und? Waren Sie etwa nicht eifersüchtig?»
Kay errötete.
«Doch! Ich war von Anfang an auf Audrey eifersüchtig. Ich glaubte, ihre Gegenwart ständig zu spüren. Es war, als wäre es ihr Haus, nicht meines. Ich ließ die Zimmer neu tapezieren und stellte die Möbel um, aber es war alles vergeblich. Wie ein graues Gespenst kroch sie herum. Ich wusste, dass Nevile sich Gedanken machte, weil er glaubte, sie schlecht behandelt zu haben. Er konnte sie nie ganz vergessen, sie war da – wie ein stummer Vorwurf. Es gibt solche Menschen, verstehen Sie. Sie sind ganz farblos, aber sie machen sich dauernd bemerkbar.»
Battle nickte
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