Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
so?«
»Ich bin überhaupt nicht naiv, Vera. Ich hatte letztes Jahr eine ukrainische Soziologieprofessorin zu Gast, und die war genauso
angezogen. Und sie war ganz entsetzt, dass der Großteil meiner Freundinnen kein Make-up trägt und in Jeans und T-Shirts herumläuft, während sie selbst nach Designer-Klamotten lechzt. Sie meinte, das sei ein Verrat an der Weiblichkeit.«
»Das stimmt ja auch.«
Meine Schwester würde lieber sterben, als in Jeans (Designer-Jeans ausgenommen) oder einem simplen T-Shirt unter die Leute zu gehen. Aber hochhackige, zehenfreie Pantoletten und einen Minirock würde sie genausowenig tragen.
Ich erzähle ihr noch von den tiefgefrorenen Fertiggerichten, und da sind wir uns wieder einig. »Das Traurige ist, dass er
wahrscheinlich nicht einmal den Unterschied bemerkt«, murmelt sie. »Arme Mutter!«
Kurz nach unserem Besuch kommt es zur ersten Ehekrise. Valentina fordert nämlich ein neues Auto – und zwar nicht irgendeinen
alten Karren. Muss gutes Auto sein. Muss Mercedes sein, mindestens, oder Jaguar. BMW ist okay, nicht Ford. Der Wagen wird
benötigt, um Stanislav zu seiner feinen Schule zu bringen, wo andere Kinder in Saabs oder Range Rovers vorfahren. Nun hat
Vater einen gut erhaltenen gebrauchten Ford Fiesta gefunden, den er sich leisten könnte. Doch auf einen Ford Fiesta will Valentina
sich nicht einlassen. Sie akzeptiert noch nicht einmal einen Ford Escort. Es wird lautstark gestritten.
»Sag mir, was du davon hältst, Nadeshda.« Er ist sehr erregt, als er anruft.
|98| »Ich finde, ein Ford Fiesta ist in Ordnung.« (Ich selbst fahre einen Ford Escort.)
»Aber damit ist sie nicht einverstanden.«
»Na, dann mach, was du willst.« Macht er sowieso.
Vater hat ein wenig Geld auf der Bank. Es ist sein Pensions-Fonds, der noch auf drei Jahre festgelegt ist, aber zum Teufel,
die Dame will ein neues Auto, und er möchte großzügig sein. Sie einigen sich auf einen alten Rover, der groß genug ist, um
Valentinas Vorstellungen zu genügen, und alt genug, dass Vater ihn sich leisten kann. Er löst seinen Pensions-Fonds auf und
gibt Valentina den Großteil davon für ihr Auto. Die restlichen zweihundert Pfund schenkt er meiner Tochter Anna, die gerade
ihre Schulabschlussprüfung mit Bravour hinter sich gebracht hat, fürs Studium. Ich fühle mich etwas unwohl dabei, aber nicht
zu sehr. Weil ich mir sage, dass er das Geld, wenn er es nicht Anna für ihr Studium gäbe, Valentina für einen Mercedes geben
würde.
»Das ist, um die Differenz aus dem Testament wieder auszugleichen«, sagt er. »Veras Töchter bekommen davon nichts ab. Nur
Anna.«
Wohl ist mir trotzdem nicht dabei. Meine große Schwester wird an die Decke gehen, wenn sie es erfährt. Aber ich will Rache
für das Testament. »Großartig, Papa. Sie wird es brauchen können, wenn sie an die Uni geht.«
Jetzt ist er pleite – sein ganzes Geld ist weg.
Anna ist begeistert, als ich ihr vom Geschenk ihres Großvaters erzähle.
»Ach, er ist so lieb. Glaubst du, er hat Alice und Lexi auch was gegeben, als sie angefangen haben zu studieren?«
»Ich denke schon.«
Valentina ist von ihrem Rover entzückt. Er schimmert grünmetallic, er hat einen Drei-Liter-Motor, er hat Ledersitze, die nach
teuren Zigarren riechen, er hat ein Armaturenbrett |99| aus Walnussholz und 186 000 Meilen auf dem Tacho. Sie fahren in der Stadt herum und parken vor Stanislavs Schule neben den Saabs und Range Rovers. Valentina
ist im Besitz eines internationalen Führerscheins mit einjähriger Gültigkeitsdauer, ausgestellt in Ternopil. Vater sagt, sie
hat keine Fahrprüfung abgelegt, sondern den Führerschein mit Schweineschnitzeln aus der Hausschlachtung ihrer Mutter bezahlt.
Sie fahren zu den Zatshuks, zu ihrer Freundin Charlotte und zum Onkel nach Selby. Dann streikt der Wagen. Die Kupplung ist
im Eimer. Vater greift zum Telefon.
»Nadeshda, kannst du mir bitte hundert Pfund für die Reparatur leihen?«
»Papa«, sage ich, »du hättest den Ford Fiesta kaufen sollen.« Ich schicke ihm einen Scheck.
Dann ruft er meine Schwester an. Sie ruft mich an.
»Was ist los mit diesem Auto?«
»Ich weiß nicht.«
»Er wollte sich hundert Pfund leihen, um die Bremsen reparieren zu lassen. Ich habe ihn gefragt, ob Valentina das nicht selbst
bezahlen kann. Sie verdient doch genug.«
»Und was hat er gesagt?«
»Er will nichts davon hören. Er hat Angst, sie darum zu bitten. Er sagt, sie muss ihr Geld
Weitere Kostenlose Bücher