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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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lässig gegen die Gefriertruhe.
    »Dein Vater – er nicht geben mir Geld.«
    »Aber er gibt dir doch die Hälfte seiner Rente.«
    »Rente nicht gut. Was kann kaufen mit Rente?«
    Doch im Moment steht mir der Sinn nicht nach Streit. Das Einzige, was ich will, ist, dass sie verschwindet, damit ich mich
     weiter durch die Papiere wühlen kann. Dann fällt mir ein, dass sie möglicherweise zum Mittagessen zurückgekommen ist und sich
     jetzt etwas aus der Gefriertruhe holen möchte.
    »Sag mal, Valentina, was hältst du davon, wenn ich dir etwas zu essen mache? Dann kannst du dich inzwischen oben ein wenig
     aufs Ohr legen.«
    Dieses Angebot überrascht und besänftigt sie zwar, aber sie lehnt ab.
    »Kein Zeit für essen. Nur Sandwich. Ich hole Auto, und wenn fertig mit Arbeit, ich fahre in Peterborough mit Margaritka shopping.«
    Damit schlägt sie die Tür hinter sich zu. Sie braust im Schrottauto davon, und ich sitze da mit einem Karton tiefgefrorener
     Dokumente.
     
    Nachdem ich den Brief des Rechtsanwalts kopiert habe, muss ich feststellen, dass nur noch zwei Blatt Kopierpapier übrig sind.
     Also lasse ich die Kopiererei erst einmal sein, stecke das, was ich bereits kopiert habe, und eines der Hochzeitsfotos in
     meine Handtasche, sammle die restlichen |174| Papiere wieder zusammen und packe sie zurück in den Karton.
    Dabei bleibt mein Blick noch an einem anderen Brief hängen. Es ist ein Brief auf goldgerändertem dickem cremefarbenem Papier
     von einem Budapester Institut für Schönheitschirurgie, der an Mrs.   Valentina Dubova in Peterborough, Hall Street, adressiert ist. In englischer Sprache bedankt man sich für das der Klinik entgegengebrachte
     Vertrauen und bestätigt den Eingang der Zahlung der für die durchgeführte Brustvergrößerung in Rechnung gestellten dreitausend
     U S-Dollar . Unterzeichnet ist das Schreiben von einem Doktor Pavel Nagy. Aus dem Datum des Briefes schließe ich, dass das Ganze während
     Valentinas Ukraine-Reise einige Monate vor der Hochzeit stattgefunden haben muss. Ich habe sofort wieder den dicken braunen
     Umschlag vor Augen. Dreitausend Dollar sind etwas mehr als achtzehnhundert englische Pfund. Vater muss gewusst haben, wofür
     sein Geld gebraucht wurde. Er muss es gewusst haben, und er muss ganz wild darauf gewesen sein, die Operation zu bezahlen.
    »Papa«, rufe ich und versuche, meinen Ärger nicht durchklingen zu lassen, »kannst du mir sagen, was das hier ist?«
    »Mhm. Ja«, nickt er, als er den Brief sieht. Mehr bringt er nicht heraus.
    »Du spinnst wirklich. Nur gut, dass du morgen einen Termin beim Psychiater hast.«
    Ich verstaue die Schachtel mit den gefrorenen Briefen unter seinem Bett und weise ihn an, sie unbedingt so bald wie möglich
     wieder in den Kofferraum von Valentinas Auto zurückzubringen, ohne dass sie etwas davon mitbekommt. Vermutlich sollte ich
     lieber dableiben und es selbst machen, aber mittlerweile geht es schon auf den Abend zu, und ich habe nur noch den Wunsch,
     möglichst schnell von hier wegzukommen |175| , heim zu meinem lieben, normalen Mike und meinem ordentlichen Haus. Ich koche noch schnell Makkaroni mit Käse – weiße geschmacklose
     Würmer, aber Vater kann sie essen, ohne seine falschen Zähne einsetzen zu müssen. Wortlos sitzen wir über unseren Tellern.
     Es gibt nichts mehr zu sagen. Nach dem Essen verabschiede ich mich. Als ich in die Hauptstraße einbiege, schießt auf der Gegenseite
     ein Wagen mit kaputtem Scheinwerfer um die Kurve. Die zwei feixenden Gesichter hinter der Windschutzscheibe kenne ich, es
     sind Valentina und Margaritka, die von ihrer Einkaufstour zurückkommen.

|176| 15.
Auf der Behandlungscouch
    Vaters Besuch beim Psychiater ist ein voller Erfolg. Ein einstündiges Gespräch, bei dem der Arzt kaum zu Wort kommt. Vater
     beschreibt ihn als einen äußerst gebildeten und klugen Menschen, indischer Herkunft übrigens. Er zeigt sich fasziniert von
     Vaters Theorie, dass es zwischen der Weiterentwicklung der Technik im Maschinenbau, bei Traktoren im Besonderen, und der von
     Stalin angestrebten psychischen Formierung der Menschen einen Zusammenhang gebe. Auch mit Schopenhauers Beobachtungen zur
     Interdependenz von Genie und Wahnsinn kann er etwas anfangen, weiß es jedoch zu verhindern, dass Vater ihn in eine Diskussion
     über Nietzsche verwickelt und darüber, ob dessen angeblicher Wahnsinn die Folge einer Syphiliserkrankung war. Allerdings lässt
     er sich das Zugeständnis abringen, es spreche

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