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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Schuhreparaturwerkstatt und dass sie wie unser eigenes Speiselokal sein wird und dass ich ihn schon bald mit Nara bekannt machen werde, weil sie dort mit uns arbeiten wird. Und ich wollte noch mehr sagen, meine Vorstellungen, wie es weitergehen wird, dass unser erstes Mädchenbaby Dolgorma heißen wird, weil Papa sich das so wünschte, und dass ich ihm im Herbst unser Ger zeigen werde, falls er Lust hat, dazu jedoch kam ich nicht mehr, weil Bjamchu sich zu mir umdrehte, ein paar abscheuliche Worte schrie und mir mit der flachen Hand übers Gesicht schlug.

    Mein Kopf drehte sich, und mein ganzes Gesicht brannte plötzlich wie von Tausenden feinen Nadeln, ich brach in Tränen aus, und Bjamchu entfernte sich mit schnellen, entschlossenen Schritten. Ich wollte ihm nachlaufen, aber meine Beine rührten sich nicht, mein ganzer Körper kribbelte, und ich fühlte mich in diesem Moment so leer und schmutzig, dem erstbesten Mongolen hätte ich mich damals an den Hals geworfen.
    Es war spät abends, und ich stand ganz allein auf dem größten Platz von Ulan Bator. Unter meinen Füßen lief der mit Schlacken gespickte narbige Asphalt in alle Richtungen auseinander. In den Ritzen sprossen Grasbüschel, auf einigen der Bänke schliefen Obdachlose. Einen von ihnen kannte ich, er kam manchmal wegen ein paar Chuuschuur in unser Lokal, wenn er irgendwo etwas gestohlen und für ein paar Tugrik verkauft hatte. Die anderen hatten wie erstarrte Vögel im Nachtschlaf die Köpfe in ihre Deels oder alten Pullover gesteckt. Auf der rechten Seite bäumte sich das Pferd mit dem bronzenen Reiter auf, das Denkmal unseres Helden Suchbaatar, von Ketten eingezäunt, damit die kleinen Jungs nicht hinaufklettern und den Pferderücken mit Kaugummis bekleben konnten.
    Hinter meinem Rücken ragte hinter einer massiven Säulenreihe das mongolische Parlament auf, und Suchbaatar gegenüber zeichnete sich das Operngebäude ab.
    Ein paar Straßenlampen warfen in der Dunkelheit matte gelbliche Schatten, die im Wind schwankten. Ich ging in Richtung der von Tränen und Müdigkeit verdreifachten Lichter auf die andere Seite des Platzes und betrat ein Nachtlokal. Die Musik hatte mich angelockt, die durch den Samtvorhang bis heraus auf die Straße drang, es war Sommer, und die Tür stand sperrangelweit offen.

    Drinnen war es schummrig, an der Bar drängten sich ein paar Mongolen, wie bei uns im Guanz, wenn ich auf einen Sprung weggehe und später wiederkomme. Hinter der mit Flecken von aufgeweichten Zigaretten übersäten Theke standen wie Soldaten aufgereihte Flaschen in den Regalen. Einzelne Stühle waren umgeworfen, zerbrochene Wodkagläser klirrten unter meinen Füßen, und ich überlegte, wohin ich mich setzen sollte. In jeder Ecke schemenhafte Gebilde, die sich bei genauem Hinsehen als aneinandergeschmiegte Paare erwiesen. Nur unter einem großen gewebten Dschingis-Khan-Porträt mit langen Fransen, die mich, als ich mich niederließ, hinten am Hals kitzelten, war frei. Niemand bediente in diesem Raum oder wischte die Tische ab, niemand fragte einen, was man bestellen wolle, und in den Aschenbechern türmten sich Kippen wie ein majestätischer gelber Owoo.
    Ich kostete aus einem der Gläser auf meinem Tisch. Das Getränk schmeckte seltsam, und so ließ ich es stehen und wartete, bis jemand zu mir käme und zu erzählen anfinge und ich nicht allein wäre.
    Er war alt, älter als Mergen, gekleidet wie ein Russe, aber es war ein Usbeke. Dem Namen nach Kulan. Vorgestellt hatte er sich aber als Kolja. Geräuschvoll setzte er sich so dicht neben mich, dass ich seinen Atem riechen konnte und mich zum ersten Mal seit dem Morgen wieder daran erinnerte, wie sich Mergen in mir bewegt hatte, an sein leises Aufjammern, bevor er Schluss machte. Als Kolja Wodka brachte, tat ich, als würde ich trinken, aber ich leckte mir immer nur die Lippen. Weil ich kein Geld hatte, und Limonade wollte er mir nicht kaufen.

    Als wir hinaustraten, war die Nacht schon etwas gräulich, am Horizont leuchtete ein heller Streifen, und Kulan borgte mir
seinen Pullover. Es war schrecklich kalt. Ich wusste, was jetzt angesagt war, aber in die enge Küche zu gehen und dort zwischen den Töpfen, in der fettigen Luft, die sich nicht auslüften ließ, mein Klappbett aufzuschlagen, hatte ich keine Lust. Und so stieg ich in das Auto ein, das dieser Kulan anhielt, machte es mir ganz zufrieden auf dem Rücksitz bequem und beobachtete das Verblassen der Nacht und die sich entfernenden Umrisse der

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