Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Limonade, weil Papas Zigaretten russische und nie chinesische waren,
und fürs Übernachten bekamen wir eine Flasche, oder Mama warf ein paar Tugrik in einen kleinen Becher auf dem Regal. Mama rauchte nie, das tat bei uns fast keine Frau. Nur Papa, wenn es ihn von Zeit zu Zeit danach gelüstete. In der Stadt ist das anders. Sogar Frauen torkeln betrunken herum, und wenn sie sich eine Zigarette anzünden, blickt sich niemand nach ihnen um. Was dazu wohl Mama sagen würde, fiel mir ein, und ich dachte auch an Nara. Die fehlte mir am meisten.
Nara wohnte nach der Schule wieder in unserem Ger und machte mit Mama viele Besuche, um Bekanntschaften zu schließen. Ich glaube, sie hätte auch so jemanden gefunden, und sie war damals auch erst sechzehn Jahre alt, aber Mama wollte wahrscheinlich nichts dem Zufall überlassen. Wahrscheinlich fürchtete sie, Nara würde enden wie Gelbe Blume. Hätte Schartsetseg aber Kinder gehabt, hätte sie uns seinerzeit nicht mit Papa zu Hilfe kommen können, und ich wäre nie in die Stadt gelangt.
Mir kam zum ersten Mal der Gedanke, es war aber nur so ein rasches Auflodern, nach dem eine traurige Leere zurückblieb, dass die Stadt womöglich nicht nur gut war. Ich zog meine Hose an, draußen blendete mich die Sonne.
Es dürfte schon Mittag gewesen sein, und ich befand mich irgendwo an einem äußersten Zipfel der Stadt. Die Ger klebten hier nicht so eng aneinander, sondern standen, von Holzzäunen umgeben, weit voneinander entfernt, und zwischen ihnen weideten Pferde. Ulan Bators Chaaschaa hatte hier schon keine Straßen mehr. Die Stadt war hier unsicher, floss in die Steppe, die sie schluckte. Noch ein paar Dutzend Meter immer seltener werdender Ger und Schluss. Sogar Wölfe strichen am Abend hier schon manchmal herum, und einen Berg
weiter hatte nichts mehr eine Ahnung, dass irgendeine Stadt existierte.
Ich marschierte in die Richtung, wo die Ger dichter wurden. Beide Seiten der Straße säumten Zäune, der Sand brannte sogar durch die Schuhe, und ich bedauerte bald, den Rest des salzigen Tees im Ger gelassen zu haben. Von Zeit zu Zeit musterte mich jemand, ich erkenne auch sofort, wenn jemand nicht aus der Gegend ist, und kleine nackte Kinder schrien mich an, wie sie so von Zaun zu Zaun liefen und die kleinen Tore zuknallten. Anstelle von Geschäften gab es hier nur kleine Kioske wie für Limonade, jedoch wurde darin alles Mögliche verkauft. Es gab Unmengen von Buden, in denen man Schuhe reparierte, auch Pfandgeschäfte und Frisörläden und geduckte derbe hölzerne Guanz, aber die findet man absolut überall. In der Stadt, dort wo ich wohnte, sind die Leute auf mongolische Art und auch wie Russen gekleidet, hier jedoch trug selten wer russische Kleidung. Auch Geschäfte mit Lebensmitteln waren hier eher spärlich, weil die Leute Tiere hatten, wie sie Schartsetseg im Plattenbau nicht halten konnte.
Und dann waren da immer mehr Leute, als wimmelte aus irgendwelchen Ritzen ein versteckter Schwarm, die Tiere wurden weniger, und die Ger verwandelten sich in Holzhäuschen, die in Beton und Bauplatten hineinwuchsen. Es war so wie damals, als ich vor Monaten mit Gelber Blume hergekommen war. Dieses ganze sich in Richtung Zentrum steigernde Getöse und dann Autos und Autobusse und Leute, die sich anrempelten und anschließend dem Brauch nach entschuldigend die Hände drückten. Aber ganz so wie damals war es doch nicht. Die Farben waren fahl geworden, ausgebleicht vom Staub und von der Mittagshitze. All die ehemals glanzvollen
Geschäfte und breiten Straßen der Innenstadt sahen aus, als würden sie sich häuten, als wäre darunter etwas verborgen, aber ich war zu träge, um an der Oberfläche zu kratzen und es zu suchen. Meine Beine taten weh und das zwischen ihnen auch, ich hatte kein Geld für den Bus und war, als ich abends endlich mein Klappbett aufschlug, glücklich, wieder bei den Meinigen zu sein, und Erkas morgendliches Wangentätscheln war die süßeste Berührung seit damals, als Großmutter mir im Winter die gefrorenen Fußsohlen massierte.
Und dann war alles wieder wie früher. Nur Bjamchu ging zum Mittagessen irgendwo anders hin, und ich schlief in der Küche auf einer Liege aus Tuch. Einmal war ich dann noch bei Schartsetseg. Ich wollte mein zweites Paar Schuhe holen und die Haarspange, die mir Bjamchu geschenkt hatte.
Es war niemand daheim.
Meine Schlüssel ließ ich beim Hausbesorger, auf eine von den alten Zeitungen, die Mergen abends zum Zigarettendrehen verwendete,
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