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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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riechen. Seinen traurigen Geruch würden alle Tiere und auch die erfahreneren der Steppenmenschen wittern. Sie konnte das.

    Es war mehrmals vorgekommen, dass jemand aus der Umgebung starb und Großmutter es schon wusste. Wenn der Himmel voller Wolkenfetzen war und die alten blattlosen Strünke in den Bergen knarrten, kniete Großmutter nieder und plapperte etwas vor sich hin. Wenn in einem Sandsturm zerrissene Blätter in den Wirbeln kreisten und in der Ferne ein einsamer Wolf heulte, hob sie die Arme zum Himmel und flehte die Tenger an. Und die Tenger hörten mit ihren Scharmützeln auf und schickten Großmutter einen gleißenden Strahl als Zeichen des Einverständnisses. Ich witterte etwas, hatte aber die Arme voller Geschenke, und die Gebete erreichten mich nicht. Dann kam unser Ger in Sicht, und ich fing zu laufen an.

    Mamas Abteilung befand sich im zweiten Stock. Ich nahm mir bei der Tür einen Schutzkittel aus Plastik, und dann musste ich nur noch die Nummer von Mamas Zimmer finden. Über das Bajanchongor-Spital sagte man nur das Beste, und so war ich bei dem ganzen Unglück froh, dass Mama hier war.
    Sie schlief.
    Die anderen fünf Frauen saßen auf den Betten oder an einem kleinen Resopaltisch, sie plauderten und schütteten Milchtee aus Thermosflaschen in sich hinein. Der Tisch quoll über vom Essen, das Verwandte mitgebracht hatten.
    Fleischstücke, Blechtöpfe mit kräftigen heilenden Suppen von den Töchtern, andere, schon angebrochene Töpfchen mit Reis, ein paar Boorzog und auf allem Unmengen Fliegen.
    Ich war froh, dass sie es in dem Zimmer so hübsch hatten. Sie hatten auch ein Radio und vor dem Fenster eine Gardine. Auch einen Kleiderständer gab es und einen Kalender mit russischen Städten.

    Mama schlief gleich bei der Tür.
    Auf dem Fußboden neben dem Bett lag eine umgefallene Tasche. Papa hatte ihr alles Notwendige eingepackt. Ihre Augen waren geschlossen und ruhig, als wären die Lider nie in einer anderen Lage gewesen. Sie war bis ans Kinn mit zwei Decken zugedeckt, und auf ihren Schläfen glänzten Schweißtropfen. Ich wollte sie nicht wecken, nur ein wenig die Decke lüften, es war heiß, aber Mama warf sich sofort hin und her und griff, ohne hinzusehen, nach meiner Hand und zog sie an sich.
    Setz dich, es macht nichts, setz dich kurz, es geht schon, sagte sie und machte mir neben sich auf dem Bett Platz. Es geht schon, sagte sie und tastete mit der Hand unter der Decke auf ihrem Bauch herum. Es geht schon. Lass Mergen stehen, ja? Ich nickte eifrig mit dem Kopf. Hast du eine gute Arbeit in der Stadt? Wieder nickte ich, die beste. Nara fragt ständig nach dir, auch Ojuna.
    Ich beobachtete, wie die Sonne auf den Bettkanten glänzte. Wenn ich den Kopf bewegte, fuhr der Glanz hin und her. Papa soll mich in ein paar Tagen abholen kommen, wirst du noch da sein?
    Ich bewegte auf sämtliche von Mamas Fragen den Kopf hinauf und hinunter, und der Glanz auf der Kante bewegte sich auch. Nur als sie fragte, warum ich erst jetzt gekommen wäre, erinnerte ich mich an meine nutzlosen Wege zur Post und zurück und an das Dosenspiel, und ich schwieg.
    Nach Schartsetseg fragte sie kein einziges Mal, wahrscheinlich stand sie ohnehin mit ihr in Verbindung, und so sagte ich noch etwas von der Stadt und dem Guanz, aber so, als handle es sich um das Leben von jemand anderem. Und sobald ihr Atem ruhiger wurde und ich ahnte, dass sie schlief, ging ich weg.

    Draußen wurde mir bewusst, dass ich immer noch den Kittel anhatte, aber zurückzugehen hätte zu lange gedauert, so zerknüllte ich ihn und stopfte ihn hinter einen Stein.

    Als ich mit Nara das Dosenspiel spielte, war es einfach gewesen. Nara dachte wie ich. Damals hatte ich manchmal das Gefühl, wir wären dieselbe. Das Gefühl, ihre Stimme käme aus meinem Mund und meine Schritte trügen ihren Körper.
    Das wäre was für Großmutter Dolgorma gewesen. Aber ich war noch zu klein damals. Schade. Auch ich kann den Tod spüren, sie jedoch verstand es, ihn wie einen dienstfertigen Hund herbeizurufen oder ihm das Fell zu versohlen, wenn er ums Ger strich und durch das Rauchloch seine Klauen nach einem Kranken ausstreckte.
    Ich weiß schon, was Papas Augen gesucht hatten, als er sich über Magi beugte und mit den Händen das Ende ertastete. Sie suchten Großmutter. Magi war in diesem Augenblick nur ein kleines Stück von uns entfernt, aber niemand konnte sie mehr zurückziehen, und Großmutter wollte uns nicht hören. Wahrscheinlich erinnerte sie sich daran, wie

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